: Maler der Menschenliebe
■ Gesichter der Großstadt: Kurt Mühlenhaupt, der jetzt 75 Jahre alt wurde, war Tischler, Schalenbimmler, Trödelhändler, Kneipier, Maler, Sänger, Dichter und Bildhauer in Kreuzberg
Eines Tages sei er es leid gewesen, immer nur von seiner Trödelhandlung aus die gegenüberliegende Spitze der Heilig-Kreuz- Kirche an der Blücherstraße zu betrachten. Also kletterte er zusammen mit dem Gemeindepfarrer in die Turmspitze hinauf und betrachtete von dort aus sein Leben: „Und da sah ich mich vor meinem Laden umherlaufen, sah, wie ich dabei war, meinen Ramsch zu verkaufen. Nun wußte ich es. Ich war ein Krämer“, beschreibt Mühlenhaupt, was er von oben gesehen hat.
Kurt Mühlenhaupts Leben hat sich meistens in Kreuzberg abgespielt, hier und da findet man heute noch seine Spuren: Zum Beispiel in der Kreuzberger Fidicinstraße 40, am Chamissoplatz. Wer in die Hofeinfahrt abbiegt, entdeckt eine andere Welt: eine Künstlerkolonie auf einem alten Fabrikgelände. Tür an Tür liegen hier Ateliers, eine Windradmanufaktur, die Galerie „Tammen und Busch“ und die „Freunde der italienischen Oper“. Anfang der siebziger Jahre konnte Mühlenhaupt von seiner Malerei leben und sich obendrein einen Lebenswunsch erfüllen. Er kaufte die alte Fabrik, vermietete die Räume günstig an Künstler und richtete sich selbst ein Atelier ein.
Eine seiner ersten Bildhauerarbeiten steht am Brunnen auf dem Mariannenplatz. Mühlenhaupts Feuerwehrmänner dort fallen allein schon wegen ihrer großen Nasen auf. „Feuerwehrmänner brauchen große Nasen, denn sie müssen riechen, wo es brennt“, erklärt er.
Auch dem Bezirk Wedding hat Kurt Mühlenhaupt einen Farbtupfer verpaßt. Hier gestaltete er zwei Wandbilder im Hallenbad in der See-/Ecke Ungarnstraße. Sie zeigen zwei Schwimmer: „Die Dame für die Damenseite, der Herr für die Herrenseite.“
Sie scheint aus dem Bild herauszuschwimmen, er versucht ihr hinterherzupaddeln. Eine Hommage an die Frau, aber nicht an die glatten Gesichter der Titelseiten, sondern an die Berlinerin, die Proletarierin, die sich nach der Fabrikarbeit beim Schwimmen erholt. Mühlenhaupts Schönheitsideal ist vollbusig, beleibt, im besten Alter und trägt eine rote Badekappe, passend zum gleichfarbigen Bikini.
Kurt Mühlenhaupt wurde am 19. Januar 1921 im Zug auf dem Weg von Prag nach Berlin geboren. Als Geburtsort ist der nächste Bahnhof in seinem Paß angegeben, Klein-Ziescht in der Mark Brandenburg. Nun wird Mühlenhaupt 75 und ist in die Mark Brandenburg zurückgekehrt. Er lebt in einem ehemaligen Gutshof in Bergsdorf. „Ich möchte hier in Ruhe mein Leben ordnen“, sagt er. Wenn er tot ist, soll seine Frau ein Mühlenhaupt-Museum im derzeitigen Wohnhaus einrichten.
Mühlenhaupt ist in einer Laubenkolonie in Ostberlin aufgewachsen, von seiner Ausbildung zum Tischler holten ihn die Nazis weg und steckten ihn in eine Waffenfabrik. Von dort aus ging es an die Front, wo er mehrfach verwundet wurde. Weil er aufmuckte, ist er zu einem Strafbataillon versetzt worden, zum Minenräumen. Die Verwundungen hätten ihm aber auch das Leben gerettet, glaubt er heute. Ab 1943 lag er im Lazarett.
Die Malerei wurde zum Schopf, an dem sich Mühlenhaupt selbst aus dem Dreck zog. Hätte er nicht malen können, so sagt er, dann wäre er verrückt geworden. Er begann ein Studium an der Hochschule für bildende Künste bei Maximilian Debus und Schmidt-Rotluff. Der hielt Mühlenhaupt für unbegabt und riet ihm, die Malerei ganz aufzugeben. Daraufhin wurde Mühlenhaupt krank und rührte zwei Jahre lang keine Farben mehr an.
1952 wurde er in die Nervenheilanstalt Buch eingeliefert. Die Ärzte ermunterten ihn, wieder zu malen, und kauften ihm die Bilder für ein paar Mark ab. Mitte der fünfziger Jahre zog Mühlenhaupt nach West-Berlin und hat sich und seine Familie als Schalenbimmler durchgebracht. Mit einem Pferdekarren zog er durch die Straßen und tauschte Brennholz gegen Kartoffelschalen. „Meine Jahre als Schalenbimmler haben mich zu den Menschen zurückgeführt“, sagt er heute.
Er wolle ein Maler der Liebe werden, hatte er zu Maximilian Debus gesagt, ohne recht zu wissen, wie das funktionieren sollte. In Kreuzberg begann er dann, den Kiez, die Arbeiter, die Portiersfrauen, die auf der Straße spielenden Kinder zu malen. Peter-Paul Zahl dichtete zu Mühlenhaupts 70. Geburtstag: „Manche sehen das, was Kurt sieht, nicht einmal mit dem Vergrößerungsglas.“
Mühlenhaupt versteht sich selbst als Volksmaler: Einer, der aus dem Volk kommt und für die einfachen Leute malt. Auf dem Hof seiner Trödelhandlung in der Kreuzberger Blücherstraße veranstaltete er jeden Monat einen Bildermarkt. Hier konnte jeder ausstellen: „Es war der Versuch, mit der Kunst mitten im Volk, gleich neben dem Mülleimer zu stehen.“ Als „das Volk“ wenig Interesse zeigte, stellte Mühlenhaupt eben ein Faß Bier auf die Straße, „dann kam die Sache doch noch in Schwung“. Die Feste im Anschluß an seine Bildermärkte wurden ab 1959 in den „Leierkasten“ verlegt, eine Künstlerkneipe, die Mühlenhaupt zehn Jahre lang in der Zossener Straße betrieben hat. „Der Leierkasten war weltberühmt! Alle sind zu mir gekommen: Henry Miller, Friedrich Dürrenmatt, Günter Grass“, erzählt er stolz. Eigentlich habe er die Kneipe nur betrieben, um Menschen studieren zu können.
Eines seiner Markenzeichen sind seine Kopfbedeckungen geworden. Nie sieht man ihn ohne Filzhut oder Mütze in der Öffentlichkeit. „Das sind Komplexe; bei den Nazis mußte ich immer den Hut abnehmen, oder er wurde mir vom Kopf geschlagen. Da habe ich mir gesagt, wenn du mal so stark bist, daß du den Hut aufbehalten kannst, du dich nicht mehr unterordnen mußt, dann bist du erst ein Mensch“, sagt er. Elke Gundel
Zum Geburtstag gibt es in der Heilig-Kreuz-Kirche am Blücherplatz eine Ausstellung. Geöffnet täglich zwischen 10 und 18 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen