Amazon und Berliner Stadtplanung: Mahnmal in der Wüste
Mit dem Einzug von Amazon in das EDGE-Hochhaus ist „Mediaspree“ symbolisch vollendet: Das Großprojekt hat viel Stadtraum in Betonwüste verwandelt.

Denn entgegen der „vollmundigen Versprechen über die angeblichen positiven Auswirkungen ‚regionaler wirtschaftlicher Entwicklung‘“ werde sich die Ansiedelung in dem stark von Gentrifizierung betroffenen Stadtviertel vor allem durch explodierende Mieten und weitere Verdrängung bemerkbar machen. „Mediaspree stand von Anfang an für die bornierte Umsetzung von Investorenträumen über alle berechtigten Einwände und demokratisch legitimierten lokalen Widerstände hinweg.“
Tatsächlich markiert die Eröffnung des Amazontowers das symbolische Ende von „Mediaspree“, einem der größten Investorenprojekte in Berlin. Es bezieht sich auf einen etwa 3,7 Kilometer langen und 180 Hektar großen Raum zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke. Die in den 1990er Jahren begonnenen Planungen sahen die Bebauung der wegen der Berliner Mauer größtenteils un- oder zwischengenutzten Grundstücke entlang der Spree mit Bürogebäuden, Lofts, Hotels und anderen Neubauten vor.
Dagegen wurde jahrelang vielfältiger Widerstand geleistet. Kritiker*innen befürchteten von Beginn an eine verschärfte Gentrifizierung, die Privatisierung öffentlichen Raumes etwa am Spreeufer, die Vertreibung von Zwischennutzungen und Subkulturen und generell einen weiteren Ausverkauf der Stadt. Die Bürgerinitiative „Mediaspree versenken“ entstand und führte mehrere Großdemos sowie 2008 einen Bürgerentscheid durch. Durch ihn wurde der Bezirk aufgefordert, auf Bauten innerhalb von 50 Meter Abstand zur Spree, auf Hochhäuser sowie eine neue Autobrücke über die Spree zu verzichten und einen durchgängigen öffentlichen Uferweg zu schaffen.
Punktuelle Erfolge
Der Entscheid war erfolgreich, aber nicht bindend – und wurde kaum umgesetzt. Die Wagenplätze Eastside und Schwarzer Kanal, die Clubs Ostgut und Maria, die Strandbars Kiki Blofeld und die alte Bar 25 sind Geschichte. Der freie Uferstreifen ist bis heute nicht wirklich umgesetzt, die neue Autobrücke aber auch nicht. Exklusive Gebäude wie den 14-geschossigen Wohnturm Living Levels direkt an der Spree hätte es gar nicht geben dürfen.
„Natürlich müssen wir einsehen, dass Fakten geschaffen wurden“, bilanziert Mads von Berlin vs. Amazon. „Der Bürgerentscheid und die Sorgen von Anwohner*innen wurden ignoriert.“ Dennoch sei die Kampagne gegen Mediaspree kein reiner Misserfolg gewesen: „Es lohnt immer, sich gegen solche Vorhaben zu organisieren, und es ist weiter sinnvoll, den Druck auf Amazon aufrechtzuerhalten.“
Der Architekt Carsten Joost war eines der Gesichter der Initiative Mediaspree versenken. Für ihn war die Kampagne der Beginn einer größeren Stadtdiskussion in Berlin, bei der es nicht nur um ein Projekt, sondern um ein strukturelles Phänomen geht. Punktuell sieht Joost durchaus einige Erfolge: „Die Bar 25 konnte auf der Mediaspree-versenken-Welle das Grundstück des heutigen Holzmarktes bekommen.
Geplant war dort ein riesiger Bürokomplex mit Hochhaus.“ In Kreuzberg habe das Bürgerbegehren die weitere Entwicklung aufgehalten. „Und am Osthafen haben wir verhindert, dass an der Elsenbrücke ein weiteres Hochhaus dem Allianz-Turm als monströses Stadttor gegenübergestellt wird.“
Beispiel Yaam
Doch weitere Zugeständnisse wollte die Stadt mit Hinweis auf vertragliche Verpflichtungen nicht machen. Und der Bürgerinitiative ging die Luft aus, es kam zu Flügelkämpfen zwischen der realpolitischen „AG Spreeufer“ und der linken „AG SpreepiratInnen“. Joost: „Wir haben uns selber versenkt.“
Die einzige Strandbar, die überlebt hat, ist das Yaam. Der Young African Art Market musste mehrfach seinen Standort wechseln und befindet sich heute an der Schillingbrücke, wo früher der Club Maria war. Auch dieses Grundstück sollte verkauft werden, für teure Eigentumswohnungen. „Den Verkaufsvorgang haben wir gestoppt, mit einigen Aktionen und einem ‚Kaufangebot‘ über einen Euro“, erzählt Joost. Eigentümer ist jetzt der Bezirk.
Man sitzt im Yaam im aufgeschütteten Sand, aus den Boxen dudelt Reggae, die Sonne scheint wie bestellt, die Stimmung ist entspannt. Doch allein der Aufenthalt kostet einen Euro, das Bier gibt es zu Clubpreisen, der Blick auf die Spree ist durch einen Bauzaun getrübt. Die Uferwand zur Spree soll erneuert werden, die Veranstaltungshalle wurde durch den Bezirk für baufällig erklärt und darf deshalb nicht benutzt werden. „Gutachter, die vom Yaam beauftragt wurden, sehen das anders. Das war mal ein Lkw-Parkhaus und Luftschutzbunker. Heute gibt es nicht einmal Risse im Gebäude“, sagt Joost. „Dass das Yaam durch die übertriebenen Nutzungsuntersagungen noch nicht pleite ist, grenzt an ein Wunder.“
„Seelenlose Corporate City“
Das Aushängeschild von Mediaspree ist aber nicht der Amazontower, sondern das Gebiet rund um die riesige Veranstaltungshalle, die inzwischen Uber Arena heißt. Das Areal gehört dem milliardenschweren US-Investor Philip Anschutz. Aus dem einst von seiner Unternehmensgruppe Anschutz Entertainment Group propagierten „lebendigen Stadtteil“ ist nichts geworden.
Im Gegenteil: Das über eine halbe Million Quadratmeter große Anschutz-Gelände ist eine dystopische, kalte Betonwüste geworden. Eine sterile, „seelenlose Corporate City“, schreibt der Tip, die „kreuztraurige Gegend“ sei ein „mit Unternehmensgeld zu Tode empowerte(s) Stück Berlin“, urteilt die Zeit.
Mit der Eröffnung der Amazon-Zentrale sind die alten Mediaspree-Bebauungspläne quasi fertiggestellt. Nun solle man „die Eröffnung als Schlusspunkt begreifen und behutsamer und ökologischer ohne Hochhäuser weiterplanen“, fordert Joost. Aber gegenüber sei ja bereits das nächste Hochhaus vorgesehen. „Und das RAW-Gelände soll weitgehend abgerissen werden für einen Hochhausturm und riesige Büroblocks. Das heißt, das frisst sich in den Kiez rein wie eine Seuche.“
Eine Befürchtung, die Mads von Berlin vs. Amazon teilt: „Wenn erst mal so ein Turm steht, entstehen noch weitere Türme, damit wird auch die RAW-Bebauung begründet. Es geht nicht um die Türme an sich, aber mehr Büros und Luxuswohnungen braucht niemand in Berlin.“ Deshalb will seine Gruppe den öffentlichen Druck auf Amazon aufrechterhalten.
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