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Magdalena Saigers KünstlerromanMomente der Verzauberung im Dreck

Selbstermächtigung durch Kunst? Von wegen! Ein Mann bricht seine Karriere ab und zieht sich in ein verlassenes Dorf zurück. Ein Debüt-Roman.

Die Erde ist so unbewohnbar wie der Mond. An so einem Nicht-Ort, hier: Braunkohleabbau in der Niederlausitz, spielt Madgalena Saigers Roman Foto: imago images

Ein abgebaggertes Dorf, ein abgebrochener Kohleabbau. Ein namenloser Ich-Erzähler. Er bricht seine erfolgreiche Karriere ab und zieht sich in dieses abgelegene, verwüstete Gelände zurück.

Dort haust ein ehemaliger alter Dorfbewohner, der den Eindringling von fern misstrauisch beäugt. Der Neuankömmling richtet sich in einer verlassenen Lagerhalle ein und beginnt, ein Kunstwerk zu bauen; ein begehbares, gigantisches Labyrinth aus nichts als Papier. Allmählich kommen die beiden Outcasts sich näher; manchmal teilen sie mit­ein­ander Dosenfraß. Nachts am Feuer erzählt der Alte Bruchstücke aus einer wenig heimeligen Dorfgeschichte. Tagsüber arbeitet der Erzähler an seinem unmöglichen Kunstprojekt.

Magdalena Saiger wurde 1985 geboren; ihr erster Roman ist keine Ich-Suche wie viele andere Debüts. Die Autorin begibt sich auf mehrfache Weise ins Fremde: Da ist ein Nicht-Ort, der nach allen Regeln der Wertschöpfung verkauft, ausgebeutet und zerstört wurde. Da ist eine männliche Hauptfigur, die sich grimmig von „euch“, den Zeitgenoss/innen und vor allem den elitären Kulturmenschen, abgrenzt. Da entsteht ein Kunstwerk, das Grenzen überschreiten und die Qualität des Magischen annehmen soll: „Kann man einen brennenden Dornbusch bauen?“

Der Schöpfer des Labyrinths sucht nach dem Absoluten; er will die Weltformel, das Zauberwort, die Wahrheit finden. „Meine Kunst der Fuge, mein Turmbau ohne Sprachverwirrung, mein Großes Orgelkonzert aus nichts als Raum.“

Ironie ist ein bewährtes Mittel

Wenn eine Autorin solche hohen Töne wagt, ist Ironie ein bewährtes Mittel, um den Text zu erden. Denn das ironische uneigentliche Sprechen schafft Distanz, es relativiert. Saiger will aber keine Balance herstellen. Der Monolog ihres Helden ist enthusiastisch oder schnoddrig, zart oder höhnisch, analytisch oder verträumt, aber nie ausgewogen oder gar indifferent. Er ist heiß oder kalt, aber nie lau.

Der Roman

Magdalena Saiger: „Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes“. Edition Nautilus, Hamburg 2023. 168 Seiten, 20 Euro

Der Erzähler gehörte früher zu den „Königsmachern“ des Kunstbetriebs; er war einer der „Vielschwätzer“, der mit Seinesgleichen Namen und Trends setzte. Mittlerweile verachtet er den Tanz ums Goldene Kalb, angeführt von Hohepriestern der Kunst: „Habt ihr euch nie gefragt, was die Gioconda denken muss vor euren hochgereckten Tätzchen mit den Endgeräten?“ Er versteht, dass sich der Kapitalismus selbst den Akt des künstlerischen Widerstandes einverleibt. „Es gibt für die Blutleere einen Markt wie für das Blut.“

Seine Desillusionierung führt zu Fantasien über das Verschwinden in der Kunst: Er denkt an übermalte Bilder, zerstörte Partituren, unauffindbare Manuskripte. Und was nützen die Erzählungen des alten Dörflers über den verschwundenen Ort? Seine Worte sind so haltbar „wie die eines sprechenden Fischs“. Nutzen und Haltbarkeit sind keine Kategorien für die beiden Männer. Trotzdem arbeitet der Held an seinem Papierlabyrinth, das niemals jemand sehen wird – dafür wird er am Ende des Romans in einer äußerst gewagten Aktion sorgen.

Konsequent im Ausweglosen

Magdalena Saiger hat einen Künstlerroman geschrieben, der sich konsequent im Ausweglosen, im Bereich der Aporie bewegt. Ihr Held rackert aus Leibeskräften auf einem Feld, das längst umstellt und bestellt ist: Bilderstürmer produzieren neue Bilder. Der Wunsch nach Schönheit verzerrt sich zum Kitsch oder zur Fratze. Der Erzähler geißelt jedes „Karmagefasel“ in scharfen Worten. Er arbeitet im Dreck und erfährt Ohnmacht in vieler Hinsicht. Und doch erlebt er wie Hofmannsthals Lord Chandos, dass eine Nichtigkeit zu Epihanie wird, zur plötzlichen Offenbarung.

Das kann ein Tier sein, dem er in dem unwirklichen, unwirtlichen Gelände begegnet. Oder er fantasiert; dann sieht er „einen Tanz, der dieses eine Mal die Bitte der Füße um Aufhebung der Schwerkraft erhört hat“. Er sieht „drei Sonnen am Himmel, und der Mond schwimmt als Qualle davon übers Gebirge“.

Solche Augenblicke der Verzauberung zielen nicht darauf ab, die Leser/innen ehrfürchtig erstarren zu lassen. Saiger misstraut dem Bann eines Sirenengesanges, der immer etwas Überwältigendes, Gewaltsames enthält. Daher entzaubert sie den Monolog des Helden durch das Einfügen von profanen, staubtrockenen Zitaten über die Materialeigenschaften von Papier oder die Formprinzipien von Labyrinthen. Da hätte man kürzen können. Egal.

Dieses Buch mag ein Erstling sein; aber es ist kein überstürzter Schnellschuss. Der Roman ist präzise und poetisch, durchfunkelt von Komik und in all seiner Wildheit auch ein strenges Exerzitium. Eine konsequent durchgeführte Übung im Aufrufen und Verschwindenlassen von Bildern. Schließlich verschwindet selbst der Held im Nirgendwo.

Saiger erzählt hier keine Geschichte von der gelingenden Selbstermächtigung durch Kunst. Es geht vielmehr um die permanente Praxis der Subversion. Die zielt nicht darauf ab, einen Thron einzunehmen – diese Praxis bleibt in Bewegung und im Dazwischen. Saigers Roman ist staunenswert.

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