piwik no script img

Mafiaboss in Italien verhaftet„Schmuckstück“ einkassiert

Mit Matteo Messina Denaro wurde der letzte prominente Vertreter der Cosa Nostra verhaftet. Der 60-jährige Boss agierte jahrelang aus dem Untergrund.

Zugeschlagen haben die Carabinieri in einer Privatklinik nördlich des Stadtzentrums von Palermo Foto: Carabinieri/reuters

Rom taz | In Blitzgeschwindigkeit machte die Nachricht am Montagmorgen in Palermo die Runde: die von der Verhaftung Matteo Messina Denaros, des letzten großen Mafiabosses, der sich noch auf freiem Fuß befand. Zum Beispiel in dem Hallenbad, in dem Alberto A. gerade war. „Sie haben ihn, sie haben ihn!“, riefen Leute plötzlich über das Becken hinweg. Und als er dann nach Hause kam, so berichtet er, standen Grüppchen vor dem Wohnblock, aufgekratzt und gut ­gelaunt, während der Portier die freudige Nachricht verbreitete.

Zugeschlagen hatten die Carabinieri nur knapp einen Kilometer entfernt, in der Privatklinik La Maddalena, gelegen in dem Stadtviertel San Lorenzo, einer traditionellen Mafiahochburg nördlich des Stadtzentrums von Palermo. Auch hier hatten die Pas­san­t*in­nen auf offener Straße unter „Bravo!“-und „Grazie!“-Rufen Beifall geklatscht, als der 60-jährige Boss abgeführt und in einen Kleinbus verfrachtet wurde.

Feierlaune herrscht aber auch in Rom. Die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warf sofort ihren Terminkalender um und machte sich auf nach Palermo, um den ermittelnden Staatsanwälten und den Carabinieri persönlich zu gratulieren. Schließlich wurde da nicht irgendein Mafioso verhaftet, sondern der letzte prominente Vertreter jener Cosa Nostra, die in den 80er und 90er Jahren eine breite Blutspur durch Sizilien gezogen hatte, die unter Führung des Clans Corleonesi unter Totò Riina und Bernardo Provenzano nicht nur Hunderte Mitglieder rivalisierender Clans weggeschossen, sondern auch reihenweise Politiker, Staatsanwälte und Polizisten ermordet hatte.

Messina Denaro wurde in diese Mafia gleichsam hineingeboren, denn schon sein Vater war Boss im westsizilianischen Städtchen Castelvetrano in der Provinz Trapani. In alter Mafiamanier waren Vater und Sohn als Verwalter der Ländereien des Großgrundbesitzers und Unternehmers Antonio D’Alì tätig – und sie knüpften die richtigen Allianzen in der Mafiahauptstadt Palermo, als sie sich mit den Corleonesi verbündeten. An deren Seite zogen sie von 1981 an in den Mafiakrieg, in dem Riina und Provenzano durch die komplette Eliminierung der gegnerischen Clans ihre ungeteilte Macht errichteten. An deren Seite war auch Messina Denaro junior unmittelbar beteiligt an der Planung, oft genug auch an der Durchführung jener Attentate, denen im Jahr 1992 die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Palo Borsellino zum Opfer fielen, ebenso jener Bombenattentate von 1993 in den Stadtzentren von Rom, Mailand, Florenz, die neun Tote forderten.

Als 30-Jähriger abgetaucht

Schier unbesiegbar erschien damals die Cosa Nostra – doch gerade mit ihrer offen terroristischen Strategie ebnete sie den Weg für staatliche Gegenschläge, die sie schließlich dramatisch schwächen sollten. So hatte das Parlament schon 1982 ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Staatsanwaltschaften die Vermögen von Mafiosi einziehen konnten, in direkter Reaktion auf die Ermordung des kommunistischen Regionalvorsitzenden in Sizilien, Pio La Torre. Es kamen eine großzügige Kronzeugenregelung für aussagewillige Mafiosi und drakonische Haftbedingungen für die unbeugsamen Bosse hinzu.

Die Folgen blieben nicht aus. Im Jahr 1992 wurden in einem Großprozess über 400 Mafiosi abgeurteilt, viele von ihnen erhielten lebenslänglich; möglich war dieser Prozess, weil mit Tommaso Buscetta erstmals ein Spitzenmafioso ausgepackt hatte. Und so wurde am 15. Januar 1993 – fast akkurat 30 Jahre vor der Verhaftung Messina Denaros – der Boss der Bosse, Totò Riina, geschnappt, wurden in den Folgejahren so gut wie alle führenden Corleonesi gefasst, bis dann im Jahr 2006 auch Bernardo Provenzano, Riinas Nachfolger an der Spitze der Cosa Nostra, ins Netz ging.

Nur einer fehlte: Matteo Messina Denaro. Er war 1993 nach der Ausstellung eines Haftbefehls gegen ihn abgetaucht, die Fotos von damals zeigen einen smarten 30-Jährigen, der gerne Ray-Ban-Sonnenbrillen trug und eher wie ein Playboy als wie ein eiskalter Killer wirkte. Nur in einem Punkt waren die Fahnder sicher: Sie mussten Denaro auf Sizilien suchen, höchstwahrscheinlich in seiner Heimatprovinz Trapani.

Denn wer Boss bleiben will, muss vor Ort physisch präsent sein, muss sich auf ein ihn schützendes Netzwerk von Hintermännern und Gewährsleuten verlassen können, muss die Kommandostrukturen weiter in der Hand halten. Das gilt umso mehr, als Mafiosi nicht gerade elektronik-affin sind. Sie greifen nie zum Handy, schon Bernardo Provenzano kommunizierte nur mit auf kleine Zettel gekritzelten Botschaften, die er den Adressaten überbringen ließ. Genauso soll es Messina Denaro in all den Jahren im Untergrund gehalten haben.

Jahre des Wandels

In Jahren, in denen er in eigener Person jenen Wandel vollzog, der die gesamte Cosa Nostra charakterisierte. Genauso wie der Boss aus Castelvetrano zum Phantom mutiert war, ist auch die Mafia gleichsam „abgetaucht“, wie die Fahnder sagen. Sie präsentiert sich nicht mehr als blutrünstige Bande, die mit spektakulären Morden auf sich aufmerksam macht und im internationalen Drogenhandel ein großes Rad dreht, sondern als Verein alerter Geschäftsleute, die als Großinvestoren unterwegs sind und dabei gerne auch EU-Subventionen abgreifen.

Denaro, der als junger Mann etwa 40 Morde beging – den ersten mit 18 Jahren – und auch eine Schwangere barbarisch erdrosselte, investierte später aus dem Untergrund heraus in Supermarktketten oder auch in Windparks. Zu seinem Leidwesen wurde das Vermögen mehrerer Strohmänner im Wert von Hunderten Millionen Euro beschlagnahmt und eingezogen. Doch das Netz der Unterstützer hielt. Unter den über die Jahre verhafteten Helfershelfern waren Carabinieribeamte, Geheimdienstler und auch Bürgermeister. Ein „Schmuckstück“ der Mafia hatte ihn Totò Riina genannt, doch später schimpfte er aus der Haft heraus, Messina Denaro denke „bloß an seine eigenen Geschäfte“.

Doch mit den wiederholten Schlägen der Fahnder gegen seine Gewährsleute zog sich das Netz um den westsizilianischen Boss immer weiter zusammen. Vor einem Jahr, so heißt es, unterzog sich ein gewisser Andrea Bonafede in der Privatklinik La Maddalena einer Tumoroperation, und seitdem kam er regelmäßig zur Nachbehandlung – bis zum Montag, als die Carabinieri zuschlugen. „Ein großer Sieg des Staats“, twitterte Giorgia Meloni sofort, ehe sie sich ins Flugzeug nach Palermo setzte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Keine Strafe ist zu hoch für diesen Kerl!