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MännertraditionEin Revolutionsversuch

Seit 620 Jahren feiern die Männer in Stadthagen Schützenfest. Dieses Jahr wollte eine Frau mitfeiern. Die Männer ließen das nicht zu.

Bleiben lieber unter sich: Männer beim Schützenfest. Foto: dpa

Stadthagen | taz Stadthagen also: eine halbe Stunde mit der S-Bahn von Hannover, 22.000 Einwohner. Mit viel Fachwerk und einer Fußgängerzone, die groß genug ist für mehr als ein Eiscafé, aber zu klein für ein eigenes H&M. Und: mit einem historischen Schützenfest, auf das viele Stadthäger stolz sind; weil die Stadt es seit 1395 feiert; seit 620 gewaltigen Jahren.

Stadthagen, sagt Simone Mensching, ist also doch keine Stadt für Revolutionen. Sie meint: Keine Stadt, in der Frauen beim Schützenfest teilnehmen können. Mensching, 39 Jahre alt, Sandalen von der praktischen Sorte, wacher Blick hinter schmalrandiger Brille, als Betriebsstättenleiterin bei der Paritätischen Lebenshilfe Chefin von 138 Menschen, sitzt in einem Café am Rande Stadthagens. Versucht zu verstehen, warum sie mit ihrer Idee scheiterte.

Jeden Juli herrscht in der Stadt für fünf Tage Ausnahmezustand. Männer treffen sich in ihren Gruppen, Rotts, wie es in Stadthagen heißt, zum Feiern. Werfen sich für die Parademärsche auf dem Marktplatz in Anzug und Zylinder. Schießen um die Wette. Die Frauen waren immer dabei. Aber sie saßen nicht mit den Männern auf den Bänken, marschierten nicht mit auf dem Marktplatz. Die Frauen sorgten dafür, dass es den Männern gutging, schmierten für sie die Brote und brachten das Bier. Dann kam im vergangenen Jahr Simone Mensching, die das ändern wollte.

Volker Mays erster Gedanke, als er von Menschings Idee hörte: „Jetzt hat uns die Frauenbewegung auch erwischt.“ May, ein Standesbeamter mit Glatze, seit Ende der Siebziger beim Schützenfest dabei, seit zehn Jahren Geschäftsführer des Festkomitees, trifft sich am Mittag im Ratskeller am Stadthäger Marktplatz mit den anderen Männern, die entschieden haben, dass es kein Frauenrott geben wird.

Das Komitee besteht aus sechs Männern, drei sitzen jetzt am Stammtisch, alle in Schützenfest-Tracht, in feinem schwarzen Zwirn und blendendweißen Hemden.

Alle mit Würde gespickt, mit Ansteck-Rosen an der Brust und Ehrennadeln über dem Herzen. Es ist Schützenfest 2015, Tag drei von fünf. May sagt: „Es gibt immer neue Ideen, verrückte Ideen. Müssen keine schlechte Ideen sein. Aber bei solchen traditionellen Geschichten kommt das nicht an. Zumindest nicht hier im ländlichen Raum.“ Ein anderer sagt: „Das Schlimmste an der Geschichte mit dem Frauenrott war, dass uns diese Frauenfeindlichkeit umgehängt wurde.“

Als Simone Mensching nach zehn Jahren Studium und Arbeit in Nürnberg zurück nach Stadthagen zog, besuchte sie wieder das Schützenfest, sah sich den Parademarsch auf dem Markplatz an. Ihr kam Idee, dass die Frauen doch mitmachen könnten.

Im vergangenen Sommer schrieb sie eine email an das Festkomitee. Die Schaumburger Nachrichten setzte sie in Kopie. May findet, dass es nicht in Ordnung war, gleich an die Öffentlichkeit zu gehen. Mensching sagt, dass sie vorbeugen wollte. Sie hatte das Gefühl, dass der harte Kern der Schützen ihren Brief sonst nicht beantworten würde.

Auf Menschings Brief folgte: Ausnahmezustand in Stadthagen. Zeitungsartikel, Leserbriefe, Diskussionen auf Facebook, der NDR war da. Die Gleichstellungsbeauftragte schaltete sich ein, der Bürgermeister sagte, dass Tradition wichtig, trotzdem aber eine Offenheit für Neues gut sei. Nach zwei Monaten bekam Mensching die Absage vom Festkomitee. „Einstimmig“, sagt May, „Selbstverständlich.“

Mädchen ja, Frauen nicht

Dinge, die sich verändert haben in 620 Jahren Stadthäger Schützenfest: Armbrüste wurden durch echte Gewehre, echte Gewehre irgendwann durch Holzgewehre ersetzt. Lange Gehröcke durch Jacketts. 1845 wurden schon mal zwei neue Rotts eingeführt, weil immer mehr Jüngere mitfeiern wollten, seitdem gibt es die „Jungen Bürger“, für alle zwischen 16 und 25. So könnte man natürlich argumentieren, sagt einer aus dem Festkomitee. „Muss man aber nicht.“ May sagt: Die Frauen hätten ja früher auch nicht die Stadtmauern verteidigt.

Auch Menschings Vater war Schütze. Rottmeister, also Oberhaupt einer Schützengruppe zu werden, kam aber nie infrage. Ihre Mutter, sagt Mensching, hätte da nicht mitgezogen. „Die weigerte sich auch damals, die Männer zu bedienen.“

Als Grundschülerin trug Mensching den Schild beim Parademarsch auf dem Marktplatz; wenn sich die Männer in ihren schwarzen Anzügen, mit Holzgewehr und glänzenden Zylindern in voller Pracht zeigen, wenn die Zuschauer kommen und klatschen. Einmal, erzählt sie, kam der Bürgermeister zu ihr, lobte. Ein besonderes Gefühl. Mit 14, vielleicht auch 15, sagt Mensching, war dann kein Platz mehr für sie da.

Einer aus dem Festkomitee sagt: „Die Simone Mensching ist ja auch nicht verheiratet. Die hatte noch ein paar solcher Frauen. Die dann gerne was beim Umzug machen wollen.“ Das verstehe er schon. „Die haben doch weiter nichts. Die wollen auch mal eine Freude haben. Die haben keinen Mann.“

Das Gefahrenpotenzial

Angetrunkene Männer und angetrunkene Frauen, sagt May, was da für ein Gefahrenpotenzial liege. Warum? „Es gibt ein Frauenrott in Pollhagen, gucken Sie sich das mal an, sage ich nur. Da wissen Sie, was das bewirken könnte“. Was? „Die Männer verhalten sich anders. Das wissen Sie doch auch. Dann gibt es dumme Sprüche, dann pfeifen die hinterher“. Und die Frauen? „In Pollhagen, wenn man da am Zelt vorbeigeht, da ziehen einen die feiernden Frauen auch mal in die Hecke. Jetzt mal übertrieben gesprochen“.

Eine offene Halle aus nackten Ziegeln. Zehn Minuten läuft man vom Markplatz bis zum Rottlokal der jungen Bürger. Benita, 19 Jahre alt, Auszubildende, Röhrenjeans, Kapuzenpulli, schiebt sich mit ihrem Bierhalter um zehn Uhr morgens durch Bänke, auf denen Zwanzigjährige stehen, durch Krächzen, Grölen, aber nie Singen. Durch Lieder, in denen sich „Suff“ auf „Puff“ reimt. Durch ein Meer flackernder, rotäugiger Blicke; viele der Schützen sind nach dem Feiern gestern noch nicht richtig in der Welt angekommen, trinken aber schon weiter.

Schmierweiber, so hießen die Helferinnen in den Rotts früher. Das Komitee rät heute von der Bezeichnung ab (May: „Klingt so abwertend“), bevorzugt „Rottperlen“. Benita nennt sich Rottmädel. Gestern war sie bis 1 Uhr nachts dabei, heute bereitet sie seit sieben Uhr morgens das Rottlokal vor. Wenig Schlaf. Anstrengend sei die Arbeit aber nicht. Eigentlich, sagt Benita, sei es gar keine Arbeit. Weil sie es gerne mache.

„Die Frauen waren eigentlich das größte Problem“, sagt Mensching. In ihrer Frauenrott-Facebook-Gruppe sind 66 Mitglieder. Aber als es ums Machen, nicht mehr nur ums Liken ging, wurden es schlagartig viel weniger. Drei Mal trafen sie sich, meist kamen höchstens fünf andere. Viele von denen, die ihr Mut zusprachen, waren die, die sich sonst gar nicht fürs Schützenfest interessierten, sagt Mensching.

„Ich konnte die gute Dame nicht verstehen“, sagt Benita, fragt man sie nach Simone Mensching. „Das ist die Tradition, das muss bewahrt werden. Und die Frauen haben ihre Rolle beim Fest.“ Sie sagt, dass sie sich nicht diskriminiert fühlt, sondern wertgeschätzt. Wenn die Jungs sich bedanken, wenn sie Süßigkeiten bringen. Und wenn doch einer mal einen Spruch mache, sagen würde „Mach da sauber“, gebe sie Contra.

Schon Benitas Mutter half im Rott, war Küchenfee, wie sich manche der Schützenfrauen nennen. Wie Simone Mensching durfte Benita als Kind das Schild tragen, zum Schützenfest durfte sie deshalb früher aus der Schule.

Dann, erzählt sie, tigerte sie bei durchs Rott und wurde von allen geknuddelt. Jetzt knuddelt wieder einer, der gerade seinen Zylinder abgegeben hat und gleich mal nach hinten gekommen ist. Sein Arm um ihre Schulter, Wange an Wange. „Die will das“, sagt er und lächelt. Benita sagt nichts, aber ihr Grinsen gibt ihm die Erlaubnis.

„Absonderliche Ideen“

Im Oktober tauchten die Aufkleber auf, von denen sich das Festkomitee jetzt distanziert, die sich aber ein Hauptmann, der immerhin mehrere Rotts anführt, ein wichtiger Mann also beim Schützenfest also, ausdachte. Runde Aufkleber, handtellergroß: Eine schwarze Frauensilhouette mit Hut und Gewehr. Mit einem roten Balken durchgestrichen. Ein Frauenrott-Verbotszeichen.

Als sie ein Auto mit dem Aufkleber sah, sagt Mensching, konnte sie nur noch drüber lachen. Schon davor hatten Leute sie in Facebook-Nachrichten als dumm beschimpft. Der Stadtarchivar hatte ihre Wünsche in den Schaumburger Nachrichten als „absonderlich“ bezeichnet. Jemand hatte in einem Facebook-Kommentar gefragt, ob sie lesbisch sei, bei solchen Ideen.

Volker May kann nicht entscheiden, worauf er sich beim Schützenfest am meisten freut. „Es gibt so viele schöne Momente“, sagt er. Man lerne sich anders kennen, abseits vom Büro. „Der Fabrikarbeiter sitzt da neben dem Bürgermeister.“

In Mays Keller stapeln sich Erinnerungen in Schuhkartons, May sammelt die Anstecknadeln und Anhänger, die es in jedem Jahr neu gibt. Wie viele Stunden er pro Jahr mit der Arbeit für das Schützenfest verbringt, kann er nicht zählen. Schon am Montag werden die Musik-Verträge für das kommende Jahr geschlossen, damit die besten Kapellen nicht weg sind. „Sonst guckt man in die Röhre, wenn man sich nicht kümmert“, sagt May. „Darum geht es auch. Dass ich mit meiner ganzen Kraft daran arbeite, dass es so schön bleibt, wie es ist.“

Im Ratskeller fragt die Bedienung, wie sie abrechnen soll. Es ist fast drei. Vor der Tür auf dem Markplatz sammeln sich die 15 Rotts für den Parademarsch; Umtata, Bratwurst und Bieratem liegen in der Luft. Und die vibrierende Gewissheit, dass gleich etwas Sehenswertes passieren wird.

Auch die jungen Bürger sind wieder da, machen Stimmung für die Zuschauer, stampfen mit ihren Holzgewehren auf das Pflaster. Am Morgen, im Rottlokal, nachdem gerade Limbo unter Bierhaltern getanzt wurde, kippte die gute Stimmung. Der Hauptmann wollte keine Reporterin mehr da haben. „Ich würde Sie jetzt höflich bitten, zu gehen.“ Die Jungs, sagte er, würden sich beobachtet fühlen.

Benita steht mit den anderen Frauen am Rand. Als der Parademarsch losgeht, reihen sie sich ein in das Spalier der Zuschauer. Männer ziehen vorbei, in deren Gesichtern Alkohol und Glückseeligkeit verwischen, Fahnenträger, die Kinder vor Freude zum Kreischen bringen, wenn sie den Stoff über ihre Köpfe sausen lassen.

May winkt von der Tribüne des Ratskellers, steht neben dem Bürgermeister, mit er per Du ist, weil sie gemeinsam beim Schützenfest feiern, neben den anderen aus dem Komitee und den Ehrengästen. Vor ihnen versuchen sich die Männer am Stechschritt, manche schwingen die Beine über den rechten Winkel hinaus, überzackig. Und jedem Rott, das vorbeizieht, schenken die Frauen eine Laola-Welle.

May und Mensching haben sich seit der Mail an das Festkomitee nicht getroffen, nicht mal zufällig auf dem Marktplatz. Neulich jedoch traf Mensching einen anderen Mann aus dem Komitee. Sie grüßten sich. Und taten so, als sei nichts gewesen.

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3 Kommentare

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  • Herrlich! Ich bin begeistert von dieser neuen Asterix-Story! Hab Tränen gelacht über ALLE Akteure/Innen. Die spinnen ja alle !!!

    Apropos "spinnen": Also die Römers fehlen mir schon ein bisserl! Ein bisserl Klopperei solle da noch rein. Zwecks der Tradition, gell.

  • 2G
    23879 (Profil gelöscht)

    Also wenn ich Leute sehe, die freiwillig Uniform tragen, dann gruselt's mich. Und dann auch noch in ihrer Freizeit. Das ist mir genau so suspekt wie die infantile Begeisterung für Schußwaffen - also Mordwerkzeug.

     

    Wie eine aufgeklärte Frau da mitmachen wollen kann, begreife ich nicht. Aber ich muß das auch nicht verstehen.

  • Die Geschichte ist ein klassisches Beispiel dafür, dass man, was nicht zusammenpasst, auch nicht zusammenzwängen soll.

     

    Konkreter: In einem Bereich, der so von Tradition und Konservativismus geprägt ist, dass man diese schon als seinen Hauptzweck betrachten kann, sind Veränderungen eben bei (fast) Allen, die wirklich auf sowas stehen, gänzlich unerwünscht. Wenn man denen ihre Oase der Unveränderlichkeit als solche wegnimmt und sie auch unter Modernitätskautel stellt, verliert sie ihren Sinn. Dann kann man auch gleich eine kommerzielle Kirmes ganz ohne Schützenbrimborium daraus machen.

     

    Daher entspricht es völlig der Natur der Sache, wenn Frau Mensching als einsamer Don Quichote hier nur Unterstützung von denen erhielt, die eigentlich mit Schützenfesten nichts am Hut haben - weil solche Schützenmuffel (zu denen ich mich auch zählen würde) das Bedürfnis nach so einem institutionalisierten ruhenden Pol im gesellschaftlichen Leben nicht nachvollziehen können. Es ist wie wenn ein katholischer Priester darüber schwadronieren würde, wie gottesfürchtiger Atheismus geht (oder umgekehrt ein Atheist darüber, was den rationalen Glauben ausmacht). Dem würde sein jeweiliger Gegenpart auch bescheinigen, dass er nichts kapiert hat, und ihn - im besten Fall freundlich - seiner Wege schicken.

     

    Fazit: Solange es so ein unerklärliches Bedürfnis nach Traditionen und den dazugehörigen Einrichtungen gibt, wird man sich auch die Zähne daran ausbeißen, diese von außen zu modernisieren. Das geht allenfalls von innen, wenn tatsächlich selbst die eingfleischten Fans den einen oder anderen Punkt nicht mehr mit der Tradition identifizieren.