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Macken, Miles and more

Vor Scharpings Auftritt in der SPD-Fraktion halten ihn viele für erledigt. Doch in der Sitzung trifft er auf erstaunliche Milde

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

„Ich bin gleich wieder bei Ihnen“, sagt Rudolf Scharping. Ohne ein weiteres Wort der Erklärung schiebt er sich durch den Journalistenpulk in den SPD-Fraktionssaal. Seine Miene ist so starr, als wolle er alle Klischees überbieten, die über ihn in Umlauf sind. Ich bin gleich wieder bei Ihnen? Seit der Ministerpräsident und SPD-Vize Wolfgang Clement dem Kollegen bescheinigte, „er hat im Moment ’ne Macke“, kann Scharping tun, was er will – es wirkt gleich noch seltsamer als ohnehin.

Dabei ist der Verteidigungsminister tatsächlich gleich wiedergekommen: Hat von seinem Arbeitspensum berichtet („Ich habe heute morgen beginnend um 7.30 Uhr mich mit der Lage in Mazedonien auseinander gesetzt“). Und seinen Diensteifer auch gleich noch selbst interpretiert („Ich will Ihnen damit sagen, ich tue unverändert ruhig und konzentriert meine Arbeit“). Rücktritt? Das Wort fällt nicht mal.

Man könnte glatt vergessen, dass dieser Mann selbst von vielen seiner Genossen als politischer Zombie angesehen wird: Die „dritte Stufe des Autismus“ hat ein SPD-Abgeordneter vor dem Fraktionssaal bei Scharping ausgemacht: In der ersten Stufe merkt man selbst, etwas stimmt nicht, aber die anderen sehen es noch nicht. In Stufe zwei merkt man es selbst und die anderen auch. In der dritten fällt es nur noch den anderen auf. Nie traf diese Charakterisierung mehr zu als für Scharpings Verhalten gegenüber den Spekulationen um seinen bevorstehenden Rücktritt: für ihn scheinen sie nicht zu existieren.

Noch in der Nacht zuvor hatten sich die Gerüchte überschlagen. Bundeskanzler Gerhard Schröder traf sich gerade mit Frankreichs Präsidenten Chirac und Ministerpräsident Jospin im Kanzleramt zum Abendessen, als die Nachrichtenagentur dpa eine Eilmeldung unter Berufung auf Koalitionskreise verbreitete: Der Kanzler habe seinem Verteidigungsminister „bereits den Rückzug nahe gelegt“. Da lag gerade ein katastrophaler Tag hinter Scharping: Die Vorabexemplare des Stern zeigten den Minister auf dem Titel mit Clements Spott von der Macke. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz wurde auch noch mit dem Satz zitiert, Scharping habe „seine Zukunft hinter sich“. Und Nochehefrau Jutta Scharping kommentierte in der Bunten erstmals die Urlaubsfotos mit Gräfin Pilati: Das mit der „Badehose hätte er sich nicht antun müssen“.

Nichts nützte es da, dass Scharpings Pressesprecher seinen Minister gegen den Verdacht verteidigt hatte, gelogen zu haben, als er behauptete, den umstrittenen Mallorcaflug nur unternommen zu haben, weil auch Innenminister Schily und Verkehrsminister Bodewig mitflogen. Und noch mehr Schaden richtete wieder eine von Scharpings eigenen PR-Aktionen an: Unfassbar für viele Sozialdemokraten war, dass der Minister trotz alledem der Bunten erneut ein Interview gab. „Hysterisches Jagdfieber“, beklagte er.

So verschob sich von halb zehn auf weit nach elf Uhr nachts die Pressekonferenz im Kanzleramt, bis schließlich Gerhard Schröder erklärte, er habe den Minister nicht zum Rücktritt aufgefordert: „Das trifft nicht zu.“ Weitere Fragen, etwa, ob Scharping denn von sich aus zurücktrete, lehnte er ab. Rückhaltlose Unterstützung sieht anders aus.

Über Schröders Kalkül wird viel gerätselt, auch in der Koalition. Seine Unwilligkeit, Minister zu entlassen, ist bekannt – seine Sensibilität für das Stimmungsbarometer der öffentlichen Meinung ebenso. Den achten Minister in Folge zu verlieren, würde der Koalition mehr schaden, als an Scharping festzuhalten, heißt eine Sichtweise in der SPD-Fraktion. Man weiß aber nicht, was Scharping noch alles anstellt, lautet eine andere Meinung.

Als der Verteidigungsminister am nächsten Morgen zur Fraktionssitzung kommt, hat SPD-Generalsekretär Franz Müntefering den Kurs des Kanzlers präzisiert: Scharping darf bleiben, wenn für seine innerdeutschen Flüge tatsächlich nur dienstliche Anlässe vorlagen. „Und da haben wir seine Zusage“, sagt Müntefering am Donnerstagvormittag. Am Nachmittag überbieten sich einzelne Medien bereits mit der Zahl der Flüge, die der Minister angeblich nach Frankfurt unternommen hat, dem Wohnsitz seiner Lebensgefährtin. Zwischen 20 und 40 sollen es im letzten Jahr gewesen sein – kaschiert mit dienstlichen Alibiterminen, wie CDU-Politiker Dietrich Austermann behauptet. Am Montag muss sich der Minister vor dem Verteidigungsausschuss rechtfertigen. „Scharping muss wissen, dass er die Hosen runterlassen muss“, drohte CDU-Verteidigungsexperte Paul Breuer.

Bis dahin wird der Minister ein Gehetzter sein, soviel steht schon fest. Die SPD-Bundestagsfraktion begegnete ihrem Mitglied Rudolf Scharping gestern erstaunlich milde. Als Verkehrsminister Klimmt sich letztes Jahr nicht von seinem Ministersessel lösen wollte, war die Fraktion empört. Scharping erhielt dagegen für seine kurze Rede sogar verhaltenen Beifall. Erneut bedauerte er den Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Urlaubsfotos.

Als die Abgeordneten dann in der Mittagspause vor dem Fraktionssaal um Suppe mit Wurst anstehen, sagt ein Berliner Sozialdemokrat: „Ich war auch auf Mallorca.“

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