Machtwechsel in Kolumbien: Der schwierige Teil kommt erst
Mit dem linken Präsidenten Gustavo Petro ist eine Zeitenwende in Kolumbien eingeläutet. Doch die Herausforderungen sind immens.
K olumbien bekommt seinen ersten linken Präsidenten. Der Sieg von Gustavo Petro ist zu begrüßen – und zwar nicht nur, weil die Alternative Rodolfo Hernández ein rassistischer, sexistischer, gesetzesfeindlicher Ignorant mit Korruptions-Anklage war.
Petro hat bei all seinen Schwächen die Probleme Kolumbiens korrekt erkannt: krasse soziale Ungleichheit, Rassismus, rasend voranschreitende Abholzung der Wälder, Ausbeutung als Wirtschaftsmodell, einen reformbedürftigen Sicherheitsapparat – und einen auf der Kippe stehenden Friedensprozess. In Kombination mit seiner Schwarzen Vizepräsidentin Francia Márquez bekommen die eine politische Stimme, die seit Jahrzehnten eine suchen: Afrokolumbianerïnnen, Indigene, Bauern, Frauen, Arme, die Liste ist lang.
Doch der schwierige Teil kommt erst. Bei den Lösungen für die Probleme muss Petro nachbessern. Expert:innen haben zum Beispiel berechtigte Zweifel an der Finanzierung seiner Sozialprogramme. Dafür müsste er unter anderem einen stark progressive Steuerreform durchsetzen, den Tourismus ankurbeln und ein alternatives, nachhaltiges Wirtschaftssystem anspringen, das nicht von Rohstoffexport getrieben sein soll. Das ist ambitioniert.
Petros Bündnis hat keine deutliche Mehrheit im Parlament, und er muss andere überzeugen, Kompromisse suchen, sich gut beraten lassen. Er ist nicht als Teamplayer bekannt. Petro muss beweisen, dass er wirklich an der versprochenen „nationalen Übereinkunft“ arbeitet. Es gilt, eine krasse Kluft überwinden – schließlich haben über 10 Millionen Kolumbianer:innen gegen ihn gestimmt; die Risse gehen teils durch ganze Familien.
Eine entscheidende Rolle für die Vertrauensbildung wird die Benennung der Minister:innen spielen. Hier sollte der Linke auf fachlich versierte Politiker:innen der Mitte setzen – auch um der Angst eines Teils der Bevölkerung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Gefährliche Mammutaufgabe
Gleichzeitig ist klar: Petros Regierung muss ran an die Privilegien und Unrecht wieder gutmachen, wenn er tatsächlich etwas ändern will. Kolumbien ist eines der ungleichsten Länder der Welt. Die irren Vermögen sind häufig das Ergebnis von mehr als 50 Jahren bewaffnetem Konflikt, von Vertreibung und kriminellen Geschäften. Es wird eine gefährliche Mammutaufgabe, die auf viel Widerstand stoßen wird.
Für den Friedensprozess und die Versöhnung der Kolumbianer:innen ist es wichtig, dass alte Strukturen aufgebrochen werden, damit Aufklärung und ein konstruktiver Neuanfang möglich sind. Das Militär wird dabei eine entscheidende Rolle spielen. Tatsächlich gibt es hochrangige Militärs, die Petro Unterstützung zugesichert haben. Das lässt hoffen.
Für all seine Pläne hat er nur vier Jahre Zeit, weil eine Wiederwahl nicht möglich ist. Der Druck auf Petro ist immens. Dass er alle umsetzen kann, ist nicht realistisch. Aber wenn er nur einige seiner versprochenen Ziele auf den Weg bringt – und sein:e Nachfolger:in das weiterführt – ist Kolumbien auf einem guten Weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“