Machtwechsel in Ägypten: Der Ersatzmann
Der Muslimbruder Mohammed Mursi ist Ägyptens neuer Präsident. Vor der Wahl gab er sich moderat. Für viele ist er nur das kleinere Übel.
BERLIN taz | Für die ägyptischen Muslimbrüder war Mohammed Mursi nur die zweite Wahl. Am letzten Tag der Kandidatenregistrierung für die Präsidentschaftswahlen reichte er seine Unterlagen ein, nachdem Bedenken aufgekommen waren, Khairat al-Schater, Favorit der Muslimbrüder, könne disqualifiziert werden.
In der Tat wurde der von der Wahlkommission abgelehnt, weil er unter Mubarak vorbestraft wurde. Dies führte prompt zu zahlreichen Witzen im Internet, wo Mursi als „Ersatz“ oder „Schaters Doppelgänger“ bezeichnet wurde. Doch die Muslimbrüder mobilisierten trotz des erzwungenen personellen Wechsels ihren gesamten wahlkampferprobten Apparat für Mursi und verhalfen ihm zum Sieg.
Im Gegensatz zu anderen führenden Muslimbrüdern hat Mursi nicht Jahrzehnte seines Lebens für die unter Mubarak verbotenen Muslimbrüder geopfert. Zwar saß er zweimal im Gefängnis – sieben Monate im Jahr 2006, weil er zusammen mit anderen Muslimbrüdern eine Gruppe Richter unterstütze, die gegen die gefälschten Wahlen von 2005 protestierten, und noch einmal in den letzten Tagen des alten Regimes.
Doch obwohl er schon 1979 der Organisation beitrat, errang er außerhalb der Muslimbrüder erst Bekanntheit, nachdem er 2000 als Unabhängiger ins Parlament gewählt wurde.
Aus der bäuerlichen Mittelschicht
Mursi, der verheiratet ist und vier Söhne, eine Tochter und drei Enkelkinder hat, wurde 1951 im Bezirk Sharkiya im östlichen Nildelta geboren. Er entstammt einer Familie der bäuerlichen Mittelschicht. Ende der 60er Jahre zog er nach Kairo, wo er Ingenieurwissenschaften studierte.
Nach seinem Examen absolvierte er den Militärdienst und machte in Kairo seinen Master. Anschließend erhielt er ein Promotionsstipendium für die USA, wo er sich auf Raketenwissenschaften spezialisierte. Nach seiner Rückkehr nach Ägypten leitete Mursi von 1985 bis 2010 die Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität in Zagazig im Nildelta.
Während dieser Zeit begann seine parallele Karriere bei den Muslimbrüdern, zunächst in der religiösen, dann in der politischen Abteilung, bis er 1995 Mitglied des Führungsrats, des höchsten Entscheidungsgremiums der Organisation, wurde. Nach der Verhaftung von al-Shater 2005 wurde er dessen Nachfolger als Sprecher der Muslimbrüder. Diesen Posten legte er nieder, als er am 30. April 2011 nach dem Sturz Mubaraks zum Vorsitzenden der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei ernannt wurde. Es war das erste Mal in ihrer 80-jährigen Geschichte, dass die ägyptischen Muslimbrüder eine Partei gründeten.
Inhaltlich gilt Mursi als sozial konservativ. Während seiner Zeit als Abgeordneter – einer der aktivsten unter den Muslimbrüdern – geißelte er wiederholt die Korruption unter den Amtsträgern, forderte politische Reformen und die Aufhebung des Notstands. Diese Auftritte machten ihn auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Er kritisierte die Regierung aber auch dafür, dass sie Zeitschriften mit „Nackten“ auf dem Titel erlaube, verurteilte „obszöne“ Musikvideos und bezeichnete die Wahl einer Miss Egypt als unvereinbar mit den sozialen Normen und der Scharia.
„Moderater islamischer Bezug“
Während des Wahlkampfs gab sich Mursi konziliant. Als Ziel bezeichnete er einen „demokratischen, zivilen und modernen Staat“ mit einem „moderaten islamischen Bezug“, der Religionsfreiheit ebenso respektiere wie friedlichen Protest. Die Durchsetzung von islamischen Bekleidungsvorschriften lehnte er ab.
Er legte eine gewisse politische Offenheit an den Tag, indem er andeutete, er werde nicht unbedingt einen Vertreter der stärksten Fraktion – der Muslimbrüder – im inzwischen aufgelösten Parlament zum Regierungschef machen und Repräsentanten der christlichen Kopten in seinen Beraterkreis aufnehmen oder zum Vizepräsidenten machen.
Wegen seiner Funktion als Parteivorsitzender unterhielt Mursi nicht nur regelmäßige Kontakte zum herrschenden Militärrat, sondern nach dem Sturz Mubaraks auch zu Teilen der Tahrir-Jugend sowie jungen Muslimbrüdern, die mit der Politik der konservativen Führung nicht einverstanden waren. Doch Gesprächsrunden, die zu einer Annäherung führen sollten, blieben ohne Ergebnis.
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