Machtmissbrauch an der HU Berlin: Düsteres Lernumfeld
Wie verbreitet ist Machtmissbrauch durch Dozent*innen? Eine Umfrage an der Humboldt-Uni zeigt, dass fast die Hälfte der Studierenden betroffen ist.
Demnach hat knapp die Hälfte der rund 850 Befragten mindestens einmal mitbekommen, dass Dozent*innen ihre Macht missbrauchten. 14 Prozent gaben an, oft Machtmissbrauch zu erleben. Durchgeführt wurde die Umfrage ab November 2023 von der Studierendenvertretung der HU, dem Referent*innenrat. Die nun erstellte Auswertung liegt der taz vor.
Als Machtmissbrauch gilt, wenn Dozent*innen ihre institutionelle Macht – etwa über Prüfungen, die Gestaltung von Lehrinhalten oder die Entscheidung über Anträge in Gremien – nutzen, um anderen Personen ungerechtfertigterweise zu schaden oder egoistische Ziele durchzusetzen.
16 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen berichten dabei von „diskriminierendem Machtmissbruch“. Vor allem sexistische und misogyne Vorfälle spielen hier eine Rolle. Der Bericht zitiert anonyme Studentinnen, die von unangenehmen Blicken oder dem Gefühl schreiben, nicht ernst genommen zu werden. Das sei klassischer Sexismus, der „sich im Einzelfall immer weiter steigert und bis zu körperlichen Übergriffen und Gewalt eskaliert“, so der Bericht.
Der Fall Andreas K.
So wie am Institut für Geschichte der HU: Im Frühjahr 2023 hatten Studierende auf den Machtmissbrauch durch den Geschichtsdozenten Andreas K. aufmerksam gemacht. Vorwürfe jahrelanger sexualisierter Gewalt wurden laut. Der Referent*innenrat unterstützte Betroffene bei der Aufarbeitung, der Fall ging durch die Presse. Im Frühjahr 2024 wurde K. schließlich gekündigt.
Ray Babajew, Referent*innenrat
„Als das Ganze öffentlich geworden ist, haben wir festgestellt, dass das ein flächendeckendes Problem an der HU ist und sich eben nicht nur auf ein Institut begrenzt“, berichtet Ray Babajew vom Referent*innenrat. Der Jura-Student hatte selbst eine Aufklärungskampagne zum Thema Machtmissbrauch mitorganisiert. „Dann sind immer mehr Studierende auf uns zugekommen, von immer mehr Instituten.“
Die Studierendenvertretung will zeigen: Andreas K. ist kein Einzelfall. „Es gibt immer mal wieder einen besonders schlimmen Fall an irgendeiner Uni, aber es ist ein strukturelles Problem“, sagt Eske Woldmer. Auch er ist Mitglied des Referent*innenrats.
Ihnen sei bei der Gelegenheit aufgefallen, „dass es keine aktuellen Erhebungen gibt, in welchem Umfang Machtmissbrauch an Universitäten existiert“, sagt Woldmer. Auch deshalb habe man eine eigene Umfrage initiiert.
Queerfeindlichkeit und Rassismus
Der Bericht lenkt den Blick auch auf Queerfeindlichkeit in Verbindung mit Machtmissbrauch und kommt zu erschreckenden Ergebnissen. So gaben 53 Prozent der queeren Teilnehmer*innen an, sich nicht sicher an der Universität zu fühlen.
Hinzu kommt das Thema Rassismus, die Diskriminierung ausländischer Studierender, rassistische Lehrinhalte. „Da geht es dann um Begriffe und Bilder, die in Vorlesungen immer wieder reproduziert werden“, sagt Babajew.
Aus der Beratungspraxis wisse er, was solche Erlebnisse zur Folge haben können. Betroffenen falle es oft schwer, die Erfahrung als Machtmissbrauch zu begreifen. „Nach dieser Erkenntnis sehen wir oft, dass Studierende anfangen, Ausweichmechanismen zu entwickeln, also zum Beispiel die Vorlesung wechseln oder sogar den Studiengang.“ Im schlimmsten Fall würden sie ihr Studium komplett abbrechen.
Bislang fänden betroffene Studierende kaum angemessene Unterstützung, kritisiert der Referent*innenrat. Die Rede ist von unklaren Zuständigkeiten und einem intransparenten Netz verschiedener Anlaufstellen.
HU verweist auf Zentrum Chancengerechtigkeit
Die HU selbst verweist auf Nachfrage auf das Zentrum Chancengerechtigkeit, das seit Juli 2024 das zentrale Büro der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, das Familienbüro und zwei neue Bereiche gegen Diskriminierung und Antisemitismus bündelt. „Auf diese Weise sind wichtige Akteur*innen der Antidiskriminierungsarbeit an der HU nun unter einem Dach vereint“, so eine Sprecherin der HU.
„Aber es fehlt weiterhin eine Stelle, die alle Machtmissbrauchsfälle aufnimmt, erfasst und sich dann darum kümmert“, sagt Eske Woldmer. Langfristig fordert der Referent*innenrat einen Umbau des Hochschulsystems. „Wir müssen überlegen, ob wir tatsächlich weiterhin dieses Feudalsystem behalten wollen, mit einer Professur und vielen Angestellten in Abhängigkeitsverhältnissen darunter.“
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