CHINAS VOLKSKONGRESS TAGT – ENTSCHIEDEN WIRD ANDERSWO: Machtlose Volksvertreter
Jedes Jahr treffen sich, wie in diesen Tagen, fast dreitausend Abgeordnete aus allen Teilen Chinas zwei Wochen lang in Peking und lauschen den „Rechenschaftsberichten“ der Regierung. Dann segnen sie die Bilanz ihrer Obrigkeit ab, stimmen dem Haushalt zu und fahren wieder nach Hause. Politische Macht haben die Delegierten nicht – alle wichtigen Entscheidungen fällt eine kleine Führungsgruppe hinter verschlossenen Türen.
Daran ändern die freimütigen Worte des Premierministers nichts, der Anfang der Woche Korruption, Verschwendung und Unfähigkeit geißelte und jene Genossen verdammte, die sich repräsentative Bürogebäude errichten, statt Renten und Löhne auszuzahlen. Jeder in China weiß, dass Premier Zhu die größten Sünder nicht antasten kann – oder will. Denn die „Prinzlinge“, wie die Kinder der Mächtigen genannt werden, sind tabu.
Stattdessen hören die Chinesen immer wieder die gleichen Phrasen: „Dem korrekten Weg der Reformen folgen“, „Einigkeit wahren“, „Voranschreiten“. Die Partei hält eisern an ihrem Machtmonopol fest. Diskussionen oder Visionen über die Zukunft Chinas hat auch dieser Volkskongress nicht zu bieten. Wird der Etat richtig verteilt? Gehen die Reformen zu langsam voran, zu schnell? Was passiert, wenn die Wirtschaft unter die Marke von sieben Prozent absacken sollte? Das sind Themen, die in chinesischen Forschungsinstituten diskutiert werden, aber nicht von den „Volksvertretern“.
Dennoch ist die Veranstaltung nicht so langweilig, wie es auf den ersten Blick scheint. Das Publikum hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Unter den Delegierten nimmt die Zahl gut ausgebildeter Funktionäre zu. Sie wollen die Interessen ihrer Regionen gegenüber der Zentrale in Peking wahren. Gleichzeitig ist ein großer Teil der Chinesen – vor allem in den Städten – immer weniger bereit, sich für dumm verkaufen zu lassen. Die Bürger können sich per Internet und Handy informieren, sie ziehen vor Gericht und protestieren gegen Beamtenwillkür. Diese Leute werden eines Tages verlangen, dass ihr Parlament tatsächlich etwas zu entscheiden hat. JUTTA LIETSCH
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