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Machtkampf in der TürkeiDie Hybris von Erdogan

Gebeutelt von Korruption und Abhörskandal: Die Kommunalwahlen Ende März drohen zu einem Referendum über den Regierungschef zu werden.

Letzte Gefechte Erdogans: Wasserwerfereinsatz bei einer Demo gegen den türkischen Premier am 25. Februar in Istanbul. Bild: reuters

ISTANBUL taz | „Die Diebe von der AKP werden ihre Rechnung bekommen“, prangte Freitag auf einer Hauswand in Istanbul. Die Parole ist Ausdruck der Stimmung, die sich in der Türkei seit Wochen täglich mehr aufheizt. Pünktlich um 23 Uhr tauchten seit drei Abenden hintereinander in dieser Woche illegal abgehörte Telefonate von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit seinem Sohn oder anderen Familienmitgliedern im Netz auf.

In den Gesprächen geht es um millionenschwere Bestechungsgelder, und wie man diese am besten vor drohenden Nachforschungen von Polizei und Staatsanwaltschaft verstecken kann. Seit Tagen bestimmt die Debatte um die Authentizität der Aufnahmen die politische Tagesordnung.

Dass Erdogan und Mitglieder seines politischen Umfelds abgehört wurden, wirft der Premier einem Teil des türkischen Sicherheitsapparats und der Justiz selbst vor – allerdings behauptet er, die fraglichen Telefonmitschnitte seien Montagen anderer Gespräche, die nun in „schamloser Weise“ zusammengeschnitten worden seien.

Dieser Verrat soll jetzt schonungslos geahndet werden. „Es wird viele Prozesse gegen die Verräter geben“, kündigte er auf einer Wahlkundgebung für die bevorstehenden Kommunalwahlen an. Bereits am Mittwoch hatte der Nationale Sicherheitsrat, in dem unter der Leitung des Staatspräsidenten die wichtigsten Minister mit den Spitzen der Armee zusammensitzen, eine Bedrohung der inneren Sicherheit durch „illegale Parallelstrukturen“ im Staatsapparat beklagt. Gemeint sind damit die gegen die Regierung eröffneten Korruptionsermittlungen im Dezember und eben die Veröffentlichung der Telefonmitschnitte.

Für Erdogan, den bislang unangefochtenen Mann der Türkei, ist es ein Rennen gegen die Zeit. Am 30. März finden in der Türkei landesweite Kommunalwahlen statt, die zu einem Referendum über den Regierungschef zu werden drohen. Setzen sich die Enthüllungen über ihn und seine Familie bis dahin fort, droht der AKP ein Wahldebakel.

Kein Zugewinn an Demokratie

Begann offenbar sich und seine Familie immer bedenkenloser zu bereichern: Recep Tayyip Erdogan. Bild: ap

Jahrelang konnte Erdogan sich darauf verlassen, dass mindestens 45 Prozent der türkischen Wähler ihm oder seiner Partei ihre Stimme geben werden. Das gesamte konservative, religiöse Lager stand hinter ihm, und solange es darum ging, die Vorherrschaft des Militärs zu brechen, hatte er auch die Liberalen auf seiner Seite. Mit den großen Prozessen gegen tatsächliche oder vermeintliche Putschisten aus Militär und Staatsbürokratie wurde das Ziel bis 2010 erreicht. Nachdem rund ein Drittel des höheren Offizierskorps zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, ist das Primat der Politik auch in der Türkei durchgesetzt.

Doch der Sieg über das Militär führte nicht zu dem von vielen Bürgern erhofften Zugewinn an Demokratie, sondern beflügelte vor allem die Hybris Erdogans. Der im Sommer 2011 mit 50 Prozent aller Stimmen zum dritten Mal wiedergewählte Ministerpräsident duldete fortan keinen Widerspruch mehr und begann offenbar sich und seine Familie immer bedenkenloser zu bereichern.

Dieser absolutistische Stil stieß auf Widerstand in der türkischen Zivilgesellschaft. Sichtbarstes Ergebnis davon waren die landesweiten Proteste, die sich im Sommer 2013 an der geplanten Bebauung des Istanbuler Geziparks entzündeten. Aber Erdogan legte sich nicht nur mit den Bürgern an, er geriet auch in Konflikt mit einem seiner bis dahin engsten Verbündeten.

Seit die islamische AKP 2002 an die Macht kam, wurde sie von der größten islamischen Sekte des Landes, der Gülen-Gemeinde, unterstützt. Diese verfügt über ein ausgedehntes Netzwerk von Schulen und Studentenwohnheimen, über die sie ihren Nachwuchs rekrutiert. Ihre Mitglieder sind führende Geschäftsleute, die Gemeinde verfügt über Banken und einen ausgedehnten Medienkonzern. Zudem sind Gülen-Anhänger seit mehr als 30 Jahren gezielt in die Polizei und Justizverwaltung eingetreten.

Enorme Verunsicherung

Dieser Einfluss hat es Erdogan erst ermöglicht, die Macht des Militärs zu brechen. Nachdem der gemeinsame Feind erledigt war, kam es aber zu einem scharfen Konflikt innerhalb des islamischen Lagers. Seit Monaten kämpfen die AKP und die Gülen-Bewegung um die Vorherrschaft im Staat. Dass die grassierende Korruption innerhalb der Regierung an die Öffentlichkeit kommt, ist Ausdruck dieser Auseinandersetzung. Der „Staat im Staate“, den die Gülen-Bewegung über Jahrzehnte aufgebaut hat, wendet sich nun gegen Erdogan.

Daher werden die Kommunalwahlen zum ultimativen Test für Erdogans Präsidentschaftsambitionen. Im Sommer dieses Jahres stehen die Präsidentschaftswahlen an, und Erdogan will sich zum Staatspräsidenten wählen lassen. Mit immer neuen Enthüllungen über die Korruptheit des Premiers will die Gülen-Bewegung genau das verhindern.

Die wechselseitige Demontage von Regierung, Justiz und Sicherheitsapparat hat zu einer enormen Verunsicherung geführt. Erdogan versucht nun seine Truppen zusammenzuhalten und für die bevorstehende Wahlen zu mobilisieren. Die wichtigste Auseinandersetzung findet um Istanbul statt.

Die Metropole wird seit Anfang der 90er Jahre von Erdogan kontrolliert. Zuerst als Bürgermeister und auch später als Ministerpräsident blieb er der oberste Lenker. Alle wichtigen Projekte liefen über seinen Schreibtisch. Verliert die AKP bei den Kommunalwahlen Istanbul, wäre das mehr als nur der Verlust der wichtigsten Stadtregierung. Es wäre der symbolische Anfang vom Ende von Recip Tayyip Erdogan.

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5 Kommentare

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  • Ich glaube gern, daß Erdogan und seine Umgebung in jede Menge faule Aktivitäten verwickelt sind und mittlerweile der Zug Richtung Demokratie irgendwo auf der Strecke geblieben ist. Trotzdem würde ich gerne mittels besser recherchierter Artikel wissen, was die EU mit all dem zu tun hat, sprich, welchen europäischen Interessen es dient, Erdogans Ende herbeizuschreiben, und inwiefern hier auch konkret manipuliert und eingegriffen wird. Die momentane europäische Besorgnis über den Zustand der türkischen Demokratie, just zu einem Zeitpunkt, zu dem auch in Syrien mit allerlei vorgeschobenen Begründungen deutsche Interessen "verteidigt" werden, ist abgeglichen mit den üblichen Praktiken des Wegsehens und Verschweigens schon recht erstaunlich: normalerweise interessiert doch gar nicht, ob es bei Bündnispartnern demokratisch zugeht oder nicht. Und im eigenen Lande interessiert es auch immer weniger. Insofern erwecken derartige Artikel bei mir immer wieder den Eindruck, daß das Geschilderte zwar wahr ist, aber eben nur einen sehr selektiven, interessengesteuerten Ausschnitt dessen darstellt, was man eigentlich zu diesem Thema recherchieren und schreiben könnte.

    • PW
      Peter Wolf
      @Irma Kreiten:

      Liebe Irma,

       

      in der Geschichte der Türkei hat man einen Ministerpräsidenten erhängt und Ihn auch als Dieb an den Pranger gestellt. Als Diebesgut musste damals eine Zupfpinzette herhalten. Menderes wurde vom Volk ebenso 3 mal hintereinander gewählt bis er erhängt wurde. Er wollte ebenso einen Souveränen Staat schaffen. Es gibt also Parallelen von damals zu heute. Und wenn ich mir die Ukraine anschaue mit wie viel Einflussnahme von Außen eingegriffen wird, bin ich lieber an der Seite eines "Korrupten" anstatt die Souveränität eines Landes an äußere Mächte abzugeben, die nach ihren Gutdünken ein Land nach ihren Interessen verändern und spalten.

  • T
    tim

    was der herr gottschlich nicht alles herbeischreiben möchte...

    zum glück haben nicht nur die türken in der türkei, sondern auch hier in der diaspora ihre sinne noch beisammen.

    herr gottschlich, haben sie sich mit ihren letzten berichten über die "abhörskandale" mal kritisch befasst?

    sie wissen schon, dass es beispielsweise bei dem "mitschnitt" um die 1 milliarde dollar (sehr schöne runde summe), die sohn bilal wegschaffen sollte, genug hinweise gibt, dass das ganze so nicht geschehen sein kann?

    ich hoffe, sie fangen irgendwann an, mal richtig zu recherchieren bevor sie hier immer wieder so dinger raushauen. das hat mit qualitätsjournalismus nichts zu tun. oder haben sie eine quote zu erfüllen? x kritische "artikel" und reißerische kommentare, die die regierung der türkei als monster karikieren?

    dann möchte ich mich natürlich entschuldigen....

  • FD
    Für Demokratie

    Ihr schafft das in der Türkei! Ihr habt meine volle Solidarität!

    • HK
      Hasan Kabze
      @Für Demokratie:

      zeigen Sie erstmal Solidarität mit der doppelten Staatsbürgerschaft