Machbarkeitsstudie zur „Radbahn“: Kein Räder mehr unterm Viadukt
Eine Studie der Senatsverwaltung für Mobilität schlägt vor, das bedingt realitätstaugliche Konzept der Kreuzberger „Radbahn“ neu zu denken.
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so: Im Laufe der Jahre wurde immer deutlicher, dass dieser Leuchtturm der Mobilitätswende nicht so richtig mit den baulichen Gegebenheiten zusammenging. Ausgerechnet das 2018 in Kraft getretene Mobilitätsgesetz rückte die ursprüngliche Idee ins Abseits, denn die heute geltenden Mindestbreiten für Radwege und -spuren passen schlichtweg nicht zwischen die real existierenden Hochbahnträger.
Gleichzeitig hatte das Projekt „Radbahn“ immer viele Freunde in der Politik und konnte bis dato Fördergelder in Höhe von 3,3 Millionen Euro verbuchen – vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, dem Land und dem Bund. In der Summe verwundert es also nicht, dass am Ende zwar etwas herauskommt. Nur hat dieses Ergebnis nicht mehr allzu viel mit dem Plan von 2015 zu tun.
Die Senatsverwaltung für Mobilität unter Bettina Jarasch (Grüne) hatte eine „verkehrstechnische Machbarkeitsstudie“ für den Abschnitt zwischen Kottbusser Tor und Oberbaumbrücke in Auftrag gegeben. Am Donnerstag – dem letzten Amtstag der Senatorin – wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Die von den AutorInnen bevorzugte Lösung sieht nun vor, dass unter dem Viadukt gar nicht mehr Rad gefahren, sondern nur noch flaniert wird.
Stattdessen sollen sich RadfahrerInnen und FußgängerInnen in dieser Vorzugsvariante die gesamte nördliche Fahrbahn teilen, auf der heute Pkws und Lastwagen in Richtung Westen rollen. „Damit wird ein deutlich erweitertes Platzangebot für den sicheren Rad- und Fußverkehr ermöglicht sowie Raum für zusätzliche Stadtbäume und entsiegelte Flächen geschaffen“, teilt die Senatsverwaltung mit, die von einer „Mobilitäts- und Frischluftachse“ spricht.
Die Untersuchungen waren von Beteiligungsformaten wie einem Onlineforum begleitet worden. Auf deren Grundlage und angesichts von verkehrlichen „Mikrosimulationen“ sprach sich ein Fachkolloquium für dieses Konzept aus, auch weil es Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmenden vermeide. Die zweite untersuchte Variante war eine Weiterentwicklung des Ursprungsplans, bei der aber wegen des fehlenden Raumes nicht nur unter, sondern auch neben der Hochbahn Rad gefahren werden sollte.
„Multicodierter Stadtraum“
Die im Verkehrsplanerslang als „multicodierter Stadtraum“ bezeichnete autofreie Nordfahrbahn in der Vorzugsvariante würde unter anderem nahtlos an die Fußgängerzone auf dem Lausitzer Platz anschließen. In einer Maximalvariante könnte sogar der kreisverkehrsartige Knotenpunkt am Kottbusser Tor auf eine „T-Kreuzung“ reduziert werden, bei der im nördlichen Bereich des Kotti kein Kfz-Verkehr mehr stattfinden würde.
Sollte all das umgesetzt werden – was angesichts der neuen Landesregierung keineswegs sicher ist – entstünden Kosten von knapp 4 Millionen Euro. Eine Minimalvariante wäre dagegen schon für 2,2 Millionen Euro zu haben, rechnen die AutorInnen der Studie vor. In jedem Fall müssten rund 460 Pkw-Stellplätze daran glauben, 70 davon unter dem Hochbahnviadukt.
Allerdings, auch darauf weist die Studie hin, gibt es im näheren Umfeld fast 2.000 Parkplätze in sogenannten Sammelanlagen, die nur gering bis mäßig ausgelastet seien, etwa im Parkhaus am Kottbusser Tor. Lieferverkehr, vor allem der gewerbliche mittels großer Lkw, soll die bisherige Nordfahrbahn zu bestimmten Tageszeiten auf kurzen Abschnitten befahren dürfen.
Testfeld im August
Bei paper planes bereitet man derweil ein sogenanntes Reallabor vor: Im August soll ein 200 Meter langes „Testfeld“ unter dem Viadukt zwischen den U-Bahnhöfen Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor entstehen.
Hier soll – trotz allem – „das Fahrradfahren in Mittellage erprobt sowie die Gestaltung des Raumes erfahren und diskutiert werden“. Ebenso geht es um die Vorstellung „verschiedener Bodenbeläge, Arten der Beleuchtung, Signaltechnik, Fahrradleitsysteme, Randbepflanzungen, Stadtmobiliar und Fahrradinfrastrukturen wie Aufstellflächen und Servicestationen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag