piwik no script img

MINT-Förderung in PotsdamFor­sche­r:in­nen wachsen draußen

In Potsdam lernen Schü­le­r:in­nen im Klassenraum – und im Botanischen Garten. Das soll sie für Naturwissenschaften begeistern.

Forschen im Grünen statt schwitzen im Klassenzimmer: Schü­le­r:in­nen im Botanischen Garten Potsdam Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Potsdam taz | Der Weg in den Laborraum im Botanischen Garten in Potsdam führt durch einen Vorgarten, vorbei an Gewächshäusern. Es ist schon kurz nach acht. Der Unterricht hat noch nicht angefangen, die wenigen Schü­le­r:in­nen im Raum unterhalten sich trotzdem nur leise. Einige tragen weiße Laborkittel. Als sich der letzte Nachzügler hingesetzt hat, beginnt die Biologiestunde dieser elften Klasse.

Vorne steht nicht der Biolehrer, sondern Hannah Beyersdorff: 23 Jahre, Lehramts-Studentin in den Fächern Biologie und Chemie. Beyersdorff wird den Oberstufenkurs dreimal unterrichten. Dies ist die erste der Einheiten, Thema ist das Ökosystem Boden.

Die Studentin erklärt nur kurz die Fragestellung des anstehenden Experiments: Die Tomaten im Garten eines Paares wollen nicht so recht gedeihen. Woran könnte das liegen, wie ist der Boden, was ist mit den Pflanzen neben den Sträuchern, der Sonne?

Dann teilen sich die Elft­kläss­le­r:in­nen auf und strömen in kleinen Gruppen raus in verschiedene Bereiche des Botanischen Gartens. Sie sollen Proben sammeln an Orten, die mit dem Versuchsszenario vergleichbar sind und die Anbauschwierigkeiten erklären könnten.

Fächerübergreifendes Forschungsprojekt

Dass der Unterricht hier und nicht im Schulgebäude stattfindet und dass Hannah Beyersdorff und nicht der Biolehrer des Kurses ihn leitet, ist ein Kern des Projekts Nature of Science (NoS) am Potsdamer Leibniz-Gymnasium. Seit Sommer 2019 kooperiert die Schule mit dem Botanischen Institut der Universität Potsdam. Schü­le­r:in­nen sollen Natur und Wissenschaft verstehen lernen, deshalb werden sie an zwei ganzen Unterrichtstagen pro Woche in den Laboren oder Gärten des Instituts unterrichtet – in den Naturwissenschaften Chemie, Biologie und Physik, in Mathematik, der „Wissenschaftssprache“ Englisch sowie Kunst, „um künstlerisch die Natur zu betrachten“.

Während Johannes Goedings, der eigentliche Biolehrer, das erklärt, kommen die Elft­kläss­le­r:in­nen mit ihren Bodenproben nach und nach zurück ins Labor. Goedings hat NoS initiiert. Schon einige Jahre vor Beginn des Projekts habe er den Kontakt zum Botanischen Garten gesucht und „langsam Vertrauen aufgebaut“, sagt er. Seit die Kooperation steht, gebe es für Schü­le­r:in­nen der Mittelstufe alle zwei Wochen naturwissenschaftliche Juniorkurse am Botanischen Institut. „Herzstück des Programms ist aber diese Vertiefung für die Oberstufe“, erklärt Goedings und weist mit der Hand in Richtung der Jugendlichen.

An diesem Tag sind sie zu elft, eigentlich gehören 15 Schü­le­r:in­nen zum Kurs. Auf der Website des Gymnasiums steht, NoS solle „allen begabten Schülerinnen und Schülern, die eine universitäre Ausbildung anstreben, die Möglichkeit bieten, sich dafür in angemessenem Rahmen vorzubereiten“. Abgesehen davon, dass die Fach­leh­re­r:in­nen des Gymnasiums den Unterricht regelmäßig an Lehramtsstudierende abtreten, arbeiten die Schü­le­r:in­nen über einen längeren Zeitraum hinweg an einem eigenen fächerübergreifenden Forschungsprojekt.

Es fühlt sich nicht so an wie Schule.“ Melina (rechts) und Maya, Schü­le­r:in­nen im Oberstufenkurs von „Nature of Science“ Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Und das kommt gut an: Das wissenschaftliche Arbeiten sei cool, sagt Maya, eine der Elft­kläss­le­r:in­nen im Kurs. „Direkten Kontakt zu den Studenten zu haben, ist auch total hilfreich“, fügt sie hinzu. Ob viele von ihnen Lust hätten, nach der Lust ein Studium in einem der NoS-Fächer anzufangen? „Einige bestimmt“, antwortet Maya. „Ich will vielleicht Biochemie studieren.“

Gezielte Förderung von Frauen und Mädchen

Laut dem 2022 für Deutschland erschienenen Hochschulbildungsreport gehen die Zahlen der Stu­di­en­an­fän­ge­r:in­nen in sogenannten MINT-Fächern – also Fächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – seit 2015 zurück. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) betonte jedoch zuletzt im März dieses Jahres, dass „MINT-Bildung von zentraler Bedeutung für die Bewältigung großer globaler gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Energiewende und der digitalen Transformation“ sei.

Deshalb hat das Ministerium im Herbst 2022 seinen MINT-Aktionsplan aufgefrischt. Bis zu 45 Millionen Euro sollen in MINT-Initiativen fließen: in schulische und außerschulische Projekte, in Informationsangebote für Eltern und in die naturwissenschaftliche Bildung der Jüngsten in Kita, Grundschule und Hort. Außerdem will das BMBF gezielt Frauen und Mädchen fördern. Im Hochschulbildungsreport von 2022 steht, der Frauenanteil in MINT-Studiengängen sei seit 2015 zwar gestiegen – bis 2020 allerdings auf immer noch nur 37,5 Prozent, angepeilt waren 41 Prozent. Die Schwerpunkte der Förderung durch das Ministerium sollen auf klischeefreier Berufsorientierung, weiblichen Rollenvorbildern und Lehrkräften liegen. Einige Maßnahmen zielen eher darauf ab, breite Massen für Natur und Technik zu begeistern, andere bauen auf die sogenannte Spitzenförderung.

Silke Vorst, Koordinatorin im MINT-Netz Berlin-Brandenburg, setzt mit den sogenannten Schülerlaboren auf Breitenförderung – schließlich brauche es Breite, um überhaupt Spitzen fördern zu können, so Vorst. In Deutschland gibt es 450 Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Museen, die Schülerlabore haben und dort Schulklassen Experimentierkurse anbieten. Das Ziel, laut Vorst: MINT-Interesse zu fördern und für die gesellschaftlichen Herausforderungen zu sensibilisieren, für die MINT-Bildung eine Rolle spielt, zum Beispiel die Klimakrise. Im Netzwerk GenaU, das Vorst ebenfalls koordiniert, haben sich die Labore aus Berlin und Brandenburg zusammengeschlossen: „Vor Corona haben bei uns pro Jahr ungefähr 54.000 Schülerinnen und Schüler experimentiert“, sagt Vorst. In Relation zur gesamten Schü­le­r:in­nen­zahl – fast 350.000 allein in Berlin – sei das immer noch wenig, „vielleicht kann jeder in seiner Schullaufbahn einmal ein Schülerlabor besuchen“. Dennoch zeichneten sich Erfolge ab, das Experimentieren außerhalb der Schule könne etwa beim MINT-Interesse den Unterschied zwischen Mädchen und Jungen reduzieren. GenaU werde vom BMBF, aus der Wirtschaft und vom Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie finanziert.

Langfristige Kooperation

„Nature of Science“ sei mit den Fächern Englisch und Kunst zwar keine reine MINT-Idee. Mit den Lernorten, dem Botanischen Garten und dem Standort Golm der Uni Potsdam, werde aber schon ein naturwissenschaftlicher Fokus gesetzt, sagt Lehrer Johannes Goedings. Als er das Projekt ins Rollen brachte, stellte er es dem Schulamt Brandenburg vor, „das Bildungsministerium haben wir auch eingeladen“. NoS habe viel Lob geerntet – bisher jedoch keine Förderung in Form von Geld oder Arbeitszeitausgleich der Lehrer:innen.

Eine Sprecherin des Brandenburger Bildungsministeriums teilt auf Anfrage mit, dass das Land bisher nur Schülerwettbewerbe finanziere. Darunter seien nicht nur, aber vor allem Wettbewerbe im MINT-Bereich. MINT Zukunft e. V., ein von Stiftungen, Verbänden und Arbeitgebern getragener Verein mit Sitz in Berlin, hat 28 Schulen in Brandenburg als MINT-freundlich geehrt. Das Leibniz-Gymnasium ist dort bislang nicht gelistet.

Goedings zufolge zeichnet NoS die direkte Kooperation mit der Uni Potsdam über einen langen Zeitraum hinweg aus. Die Zusammenarbeit auch ohne Förderung auf die Beine zu stellen, sei gelungen, „weil wir so eine funktionierende Schule sind“. Die Schulleitung, die Stundenplanung, die Fachlehrer:innen, sie alle hätten die Mehrbelastung durch das Projekt einfach irgendwie geschultert.

Für Michael Burkart, den wissenschaftlichen Leiter des Botanischen Gartens der Uni Potsdam, ist NoS weniger Extraarbeit. „Die Schule ist verantwortlich für die Organisation“, erklärt er. Sein Institut sei ohnehin engagiert in der Bildung von Kindern und Jugendlichen. Durch die Kooperation mit dem Leibniz-Gymnasium erhoffe er sich zusätzlich „ganz abstrakt: Interesse für die Natur und die Erhaltung der biologischen Vielfalt“. Und: Für die Lehramtsstudierenden sei es „hervorragend, während des Studiums schon vor Schülern zu stehen“.

Das bekräftigt auch Studentin Hannah Beyersdorff, die Arbeit mit dem NoS-Kurs mache viel Spaß. Unter anderem, weil sich der Unterricht mit den wenigen ausgewählten Teil­neh­me­r:in­nen auf hohem Niveau gestalten lasse. Goedings hat NoS bisher bewusst auf die Förderung derer ausgelegt, denen der reguläre Unterricht leicht fällt. Nun versuche er, das Image der Begabtenkurse aufzulockern und zu verhindern, dass sich Jugendliche von der Bezeichnung „begabt“ abschrecken lassen.

Will den Unterricht akademisieren: Johannes Goedings, Lehrer für Biologie und Chemie und Initiator von „Nature of Science“ Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Als die von Beyersdorff betreute Einheit endet, räumen die Elft­kläss­le­r:in­nen das Labor auf, die Bodenproben verstauen sie für die nächste Woche. Jetzt müssen sie den Standort wechseln – immer noch nicht zurück ans Leibniz-Gymnasium, sondern an den Uni-Campus im Potsdamer Stadtteil Golm. Der Bus lässt auf sich warten, sie werden wahrscheinlich zu spät kommen.

„Wir müssen für NoS schon sehr viel selbst machen“, sagt Schülerin Melina. „Aber es fühlt sich nicht so an wie Schule.“ Schule sei mit Stress assoziiert, wirft ein Mitschüler ein. Melina nickt: „Und da sitzen wir meistens drinnen. Hier muss man nur die Treppe runtergehen und schon ist man in der Natur, das macht was mit einem.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!