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MAIBÖCKE

■ Norddeutsche Profile 1: Werner im Tempodrom

Erinnern wir uns: Werner-Zeichner und Motorradfahrer Brösel und sein Freund Holgi, der Porschefahrer, hatten eine Wette abgeschlossen. Wer fährt schneller: Brösels Horex (Red Porsche Killer) oder Holgis Porsche. Um das auszutesten, benötigten sie ein gerades, drei bis vier Kilometer langes Autobahnstück, das sie schließlich in der Nähe von Hartenholm (Schleswig-Holstein) auftaten. Lange und bis zum Überdruß angekündigt, fanden das Rennen und Wald- und Wiesenzertrampeln vor 150.000 Geschwindigkeitsfetischisten und Flensvertilgern statt. Der Kurzweil dienten allerlei Rockgruppen und verschiedenste Motorrad-, Auto- und LKW -Artisten (auf den Hinterreifen fahren, über andere Fortbewegungsmittel rüberspringen etc.). Ja, so war das damals, am ersten Septemberwochenende in Hartenholm.

Der Multiverwertungsstrategie folgend, wurde das Großgeschehen mit der Kamera aufgenommen. Mit dem fertigen Drei-Stunden-Film zieht das Werner-Team schon seit drei Wochen durchs Land und organisiert Familienabende zur Erinnerungsauffrischung. Da können nun alle nachgucken, wie das war, damals in Hartenholm beim großen Rennen, als so viele Motorfreunde da waren und man so stierisch zugedröhnt war. Der Werner-Freundeskreis Berlin-West ist dementsprechend vielköpfig erschienen: Motorradbräutigams, Freizeithemden, Mittelgescheitelte (vorne kurz, hinten lang) und LöwenmähnInnen. Vorwiegend Männer, denn hier erwartet sie alles, was Männern Spaß macht: Bier, Schenkelklopfen und potente Motoren.

Ausflugsfilme sind schon was Dolles. Doch vorher geht's noch schnell zur Bühne, um die dort ausgestellte, blank gewichste Horex zu streicheln. Dann endlich: der Film zum Rennen. Ein Motorenaufheulen ertönt: Der Saal johlt. Die Schüssel (hoho) geigt die Straße runter: Toben im Zelt. Der erste Flensetikett tritt auf: Niemand kriegt sich vor Begeisterung mehr ein. Luftbildaufnahmen von den Wernermassen: Man ist zufrieden mit der eigenen Leistung und völlig aus dem Häuschen. Schön, dabei gewesen zu sein. Noch schöner: man kann das unvergeßliche Ereignis für schlappe 98 Mark auf Video nach Hause mitnehmen.

Der Film ist nichts weiter als ein mickriger „Woodstock„ -Verschnitt, aber wenigstens genauso langweilig. Schröder Road Show, Roger Chapman und immer wieder 10.000 Feuerzeuge. BAP war auch dabei. Nicht nur, daß die Rentenversicherungsrocker sich an „Born to be wild“ vergreifen, man mußte sich auch wieder von ihrem „Kristallnach„-Hammer (Tanz das Pogrom, hepphepphepp) beleidigen lassen, und keine Ohrenstöpsel zur Hand. Der Film nimmt, nimmt und nimmt kein Ende. Drei Stunden lang nicht. Einziger Trost: Hartenholm dauerte drei Tage („Freitach bis Sonntach“). Die Filmdramaturgie versäumt es nicht, jeden neuen Tag mit schlafenden Bierleichen anzukündigen (anerkennender Publikumsapplaus), oh ja, das kennen wir alle so gut, dann geht die Sonne hinter Müllbergen im Nebel auf. (Wir lieben den Geruch von Flens am Morgen.)

Minute für Minute das Immergleiche: Bier, Motorrad- und Autofirlefanz, gut drauf sein, melodiöser Stampfrock. Das Bröselprinzip eben. Ein Witz jagt denselben. Bis zum Geht -nicht-mehr. Aber bei der Wernergemeinde geht's immer noch einmal. Bölkstoff, die dreiundsiebzigste. Watt hebbt wi lacht.

Gunske

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