Lydia Lunch über Rebellion und Idioten: „The more they kill, the more I fuck“
Wut ist der Stoff, den Lydia Lunch in ihre Musik und Kunst packt. Wut auf Frauenfeindlichkeit, Ungerechtigkeit, Angstmacherei und Heuchelei.
taz: Frau Lunch, sind Sie schon in der Stimmung, über Frauen und Sex zu sprechen?
Lydia Lunch: Bin ich eigentlich immer.
Haben Sie „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche gelesen?
Ich hab’s angefangen, bin aber nicht durchgekommen. Es ist okay, glaube ich, aber es wurde nicht für mich geschrieben.
Sie haben bereits in den Neunzigern mit „Paradoxie“ und „Belastende Indizien“ Bücher über Frauen geschrieben, die selbstbestimmt ihre Sexualität ausleben. Wieso scheint es immer wieder eine Überraschung für die Öffentlichkeit zu sein, dass Frauen aktiv Sex wollen oder darüber schreiben?
Wenn ich das wüsste. Es scheint sich tatsächlich nicht viel zu ändern. Ich kämpfe seit Jahrzehnten den gleichen Kampf. Dazu kommt natürlich die Sache mit den Generationen – jede sucht sich eben die eigene Stimme.
Heißt das, dass die Gesellschaft in Bezug auf Feminismus nichts lernt?
Wahrscheinlich! Andererseits: Ich habe gerade in Frankreich ein Stück für Virginie Despentes (Regisseurin von „Baise-moi“, Anm. J. Z.) geschrieben, sie hat eine Anthologie über Dominik Strauss-Kahn zusammengestellt. Nachdem ich das Stück in Los Angeles gelesen habe, hat der Hustler – Larry Flints Männermagazin – es gekauft. Sie drucken es nächsten Monat. Das könnte doch ein Hinweis für Veränderung sein! Mir kommt das zwar bizarr vor, aber immerhin. Und jetzt will Larry Flint, dass ich politische Kolumnen für den Hustler verfasse – ich schlug ihnen dafür den Titel „Cuntzilla vs the Cockocracy“ vor. Sie wollen, dass ich über die NSA und Edward Snowden schreibe. Dass ein Pornograf wie Flint so etwas gut findet, bedeutet ja nur, dass es im Ganzen nicht um Sex oder Pornografie geht. Sondern um Macht. Denn der Hustler war immer schon interessiert daran, politische Heuchelei aufzudecken.
Die Sängerin, Musikerin, Autorin, Filmemacherin, Regisseurin, Schauspielerin, Spoken Word-Performerin und bildende Künstlerin wurde 1959 in Rochester, New York geboren. Mit 16 Jahren ging sie nach New York und gründete u.a. die No Wave-Band Teenage Jesus and the Jerks. Später arbeitete Lunch u.a. mit Nick Cave, Sonic Youth, Die Haut, Henry Rollins, Hubert Selby Jr. und Nick Zedd für sein Underground-„Cinema of Transgression“ zusammen. Sie schrieb mehrere, teilweise autobiografisch gefärbte Romane, macht Fotomontagen und thematisiert in ihren Werken oft Feminismus, Sexualität und Kommerz.
Zur Zeit ist sie mit dem Projekt Big Sexy Noise auf Tour, bei dem mit James Johnston und Ian White zwei Mitglieder der Band Gallon Drunk spielen. Live am 25. September Erfurt – Museumskelle“, 26. September Berlin – Wild at heart, 27. September Schwerin – Speicher, 28. September Stuttgart – Goldmark.
Dann gehen Sie also endlich in die Politik?
Ich rede und schreibe seit der Amtszeit von US-Präsident Ronald Reagan über Politik, aber vielleicht hat man meine Äußerungen zu wenig gelesen.
Werden Sie nie müde?
The more they kill, the more I fuck. Ich kann nicht nachlassen, weil ich niemanden sehe, der in meine Fußstapfen tritt. Ich mache das seit 1977, ich bin 54, fühle mich aber nicht so. Für mich hat sich nichts geändert, man weiß nur heute durch das Internet mehr. Als ich anfing, das Reagan-Regime zu beschimpfen, warf man mir vor, ich würde übertreiben. Die gleichen Leute gaben mir später recht.
Muss man nicht an Veränderung glauben, um ständig Wut auszuspucken?
Ich glaube nicht, dass ich Zustände ändern kann, höchstens Köpfe, Geisteshaltungen. Ich hoffe, ich kann Menschen mit meiner Kunst das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Ich biete ihnen an, ihre Stimme zu sein. Mir geht es nicht darum, verstanden zu werden, sondern um Befruchtung.
Prügeln Sie sich oft?
Lustig, dass Sie fragen – eigentlich seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr. Aber neulich habe ich in Orlando, Florida, gespielt, und zwei Arschlöcher im Publikum hielten einfach nicht die Klappe. Ich fragte zuerst höflich, aber als das nichts nützte, haute ich erst dem einen und dann dem anderen in die Fresse. Der eine war der Sohn des Senators, dafür gab es viel Beifall.
Was war Ihre Grundmotivation, hinaus in die Welt zu gehen und Frauenfeindlichkeit und Ungerechtigkeit anzuprangern?
Ich fing mit zwölf Jahren an, meine Stimme zu erheben. Ich war voller Hass. Das bin ich irgendwie immer noch, lasse aber nicht zu, dass der Hass mich auffrisst, ich dirigiere ihn auf die Bühne, in meinem Privatleben habe ich gar keine Zeit für Hass, denn mein Feind ist zu groß, den kann ich eh nicht besiegen. Meine Rebellion war von Anfang an Lust. Lust im Angesicht der Apokalypse, am Rande des Abgrunds. Wenn man sich die Lust nicht zurückerobert, dann haben sie gewonnen. Ich werde also weitermachen. Ich bin zufrieden, denke sogar, dass ich die erfolgreichste Künstlerin meiner Zeit bin.
Das meinen Sie vermutlich nicht im finanziellen Sinne?
Nein, das hat nichts mit dem Stand meines Bankkontos zu tun, ich bin genauso viel oder wenig erfolgreich wie immer. Aber Wahrheit ist kein gefragtes Gut, aggressive Frauen sind es auch nicht, doch die Rolle von Frauen in der modernen Kultur ist so peinlich klein, dass ich gar nichts anderes tun kann, als weiterzumachen. Gegen die Miley Cyrusses, die Madonnas, diese ganzen Idioten in ihren Gymnastikanzügen, die kommerzielle Musik machen, um große Firmen zufriedenzustellen.
Ich bin überhaupt kein Madonna-Fan, aber könnte man bei ihr nicht sagen, sie hat sich zumindest als Musikerin, die auch über weibliche Sexualität singt, ihren Teil vom Kuchen gesichert?
Ja, sie ist eine der reichsten Frauen der Welt, aber was macht sie mit ihren Scheißgeld? Sagen Sie mir eine gute Sache, die sie damit anstellt!
Kabbala-Center renovieren …?
Ach, das sind doch Idioten. Und bei Lady Gaga greift die Dribble-Down-Theorie, die besagt, dass Arme sich die Krumen aus den Bärten der Reichen holen: Sie sammelt anderer Menschen Ideen und verkauft sie zurück an die Öffentlichkeit. Sie hat nichts wirklich Eigenständiges.
Wer hat denn etwas?
Diamanda Galas, Wanda Coleman, Gudrun Gut, Adele Bertei, es gibt Tausende, Autorinnen, Ärzte, Architektinnen.
Woran liegt es, dass diese Künstlerinnen und Frauen nicht im landläufigen Sinne bekannter sind?
An der alten Angst vor starken Frauen. Und außerdem war es immer schon so, dass gute Künstler nicht anerkannt wurden, das hat sich nicht geändert. Nur dass die Menschen sich heute für den Ruhm komplett verkaufen. MTV brachte uns bei, dass jeder Rockstar werden kann. Ich bin damals nicht auf die Bühne gegangen, um Star zu werden, sondern um Antagonistin zu sein. Es war reiner Protest.
Kommt Ihr Protest denn bei den „Hustler“-Lesern richtig an?
Ich protestiere, wo ich gehe und stehe, so bin ich. Selbst wenn ich allein auf einer Bergspitze stehen würde, hätte ich ein Megafon dabei.
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