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Lustlos an die Urne

Morgen finden in Frankreich Kommunalwahlen statt. Trotz politischer Neuerungen und Kandidatenvielfalt sind die Menschen wenig interessiert

aus Paris DOROTHEA HAHN

So viel Vielfalt war selten. Wenn die Franzosen morgen und am kommenden Sonntag ihre mehr als 36.000 Rathäuser neu besetzen, stehen ihnen erstmals 50 Prozent Frauen und EU-Ausländer als Kandidaten zur Auswahl. Zusätzlich haben sie die Wahl zwischen mindestens zwei konkurrierenden rechtsextremen Listen sowie einem breiten Angebot auf der radikalen Linken. Dennoch ist das Desinteresse ausgeprägt: Selten waren Wahlkampfveranstaltungen so schlecht besucht, Einschaltquoten bei einer Fernsehdebatte zweier Pariser Spitzenkandidaten so niedrig.

Gestern, am letzten Tag der Kampagne, erwogen laut Umfragen ein Drittel der Wahlberechtigten eine Nichtteilnahme. Bei den rund 1,2 Millionen EU-Bürgern ist das Desinteresse noch größer. In Paris beantragten nur 9 Prozent die Wählerkarte, auf die sie infolge einer EU-Richtlinie erstmals Anspruch haben. Bloß Vertreter der nicht stimmberechtigten Ausländer in Frankreich zeigten Engagement. In den vergangenen Wochen demonstrierten sie für die Gleichheit aller Citoyens vor der Urne und verlangten Wählerkarten. Morgen wollen sie symbolische Parallelwahlen veranstalten.

Dabei gelten diese Kommunalwahlen als bedeutsam. Nicht nur, weil sie ein Jahr vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden und auf Trends beobachtet werden. Sondern auch wegen zahlreicher politischer Neuerungen.

Allein die 50-prozentige Frauenquote ist eine kleine Revolution. In Frankreich, wo bislang nur 10,6 Prozent der Abgeordneten und 6 Prozent der Senatoren Frauen sind und nur 2,9 Prozent der Großstädte weibliche Bürgermeister haben, wird sich nach der Wahl vieles verweiblichen. Auch wenn die Quote nur für Orte unter 3.500 Einwohnern gilt und zwei Drittel aller Gemeinden, in denen ein Drittel der Bevölkerung lebt, ausschließt.

Die Quote schreibt vor, dass von jeweils sechs Listenplätzen mindestens drei Frauen besetzen müssen. Auf die begehrten Plätze an der Spitze der Listen haben es dennoch nur wenige Frauen geschafft. In Paris streiten an der Spitze der großen Parteien nur Männer um die Rathausmacht. Rechts der Mitte kämpfen Jean Tiberi – bisheriger Bürgermeister und Chirac-Nachfolger, der in seiner Partei RPR in Ungnade gefallen ist – sowie Philippe Séguin, der „offizielle“ RPR-Kandidat, um den Bürgermeistersitz. Links der Mitte sind es Bertrand Delanoe – Vertrauter von Regierungschef Jospin und Kandidat von Sozialisten und Kommunisten – sowie der Grüne Yves Contassot.

Erstmals gilt bei diesen Komunalwahlen auch das neue Gesetz gegen die Ämterhäufung, das die rot-rosa-grüne Regierung eingeführt hat. Dennoch kandidieren allein 20 der 34 Regierungsmitglieder: nicht immer – aber meist – an der ersten Stelle der Listen. Auch viele Parlamentsabgeordnete streben wieder einen Bürgermeistersitz an – einen Arbeitsplatz, der sechs Jahre garantiert ist und hilft, nationale politische Unwetter zu überbrücken.

Obwohl Komunalwahlen in Frankreich keine Personen-, sondern Listenwahlen sind, bei denen die Bürgermeister erst anschließend von den gewählten Komunalpolitikern bestimmt werden, kleben lauter Köpfe an den Mauern. Als wären die Komunal- und die gleichzeitig stattfindenden Kantonalwahlen eine Generalproble für die Präsidentschaftswahlen. Eine Ausnahme bilden die kleinen linksradikalen Listen. Die Trotzkisten, die mit zwei konkurrierenden Listen („100-prozentig links“ und „Arbeiterkampf“) antreten, und die von Musikern, Bürgerinitiativlern und Komikern besetzten „Motivé“-Listen, hoffen auf Zulauf von Anhängern der Kommunistischen Partei. Denn die KP kann wegen ihres Wahlbündnisses mit der sozialistischen Partei wenig Profil zeigen.

Die politischen führenden Köpfe, der Staatspräsident und der Regierungschef, haben sich weitgehend herausgehalten. Jacques Chirac schickte seine Frau Bernadette vor, die den Pariser Spitzenkandidaten Séguin im Wahlkampf begleitete. Und Lionel Jospin, der seine geplanten Wahlkampfreden zugunsten linker Kanditen vorsichtshalber als „Citoyen-Reise“ tituliert hatte, wurde an vielen Orten von Bauern die wegen BSE demonstrierten, an Auftritten gehindert.

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