Lukas Wallraff über die Abschiebung von Straftätern: Berechtigter Pragmatismus
Binnen einer Woche gab es zwei Ereignisse mit enormer emotionaler Wucht, die Einfluss auf die Haltung zu Abschiebungen nach Afghanistan haben. Und wieder einmal dürften viele hin und her gerissen sein. Da war zunächst der Anschlag mitten in Kabul, der über hundert Menschen in den Tod riss und den deutschen Innenminister bloßstellte, der die Lage schamlos schöngeredet hatte. In ein derart gefährliches Land kann man niemanden abschieben, dachte wohl jeder Mensch mit Herz. Entsprechend beschloss die Bundesregierung einen vorläufigen Abschiebestopp. Schön und gut.
Doch nur wenige Tage später löst ein Fall in Bayern komplett gegensätzliche Reaktionen aus. „Warum wurde dieser Afghane nicht längst abgeschoben?“, fragt nicht nur Bild, nachdem ein erheblich Vorbestrafter, der wegen seiner behördlich attestierten Gefährlichkeit eine Fußfessel trug, einen fünfjährigen Jungen tötete und dessen Mutter schwer verletzte. Natürlich wäre es verwerflich, aus diesem Einzelfall, dessen Hintergründe noch gar nicht ganz geklärt sind, grundsätzliche Entscheidungen abzuleiten. Es ist perfide, den Fall medial aufzublasen, um Vorurteile zu verstärken. Wir machen es uns aber auch zu leicht, wenn wir schon die Frage nach einer möglichen Abschiebung als übliche ausländerfeindliche Springer-Hetze abtun.
So gefährlich die Lage in Afghanistan ist und so gravierend Gründe für eine Abschiebung sein müssen: Wer sie ausnahmslos ablehnt, selbst nach schweren Straftaten, kann nicht viel Verständnis in der Wählerschaft erwarten. Wer signalisiert, dass absolut jeder hier bleiben kann, völlig egal wie er sich hier verhält, hilft nicht dem Asylrecht, sondern senkt die Bereitschaft, weitere Geflüchtete aufzunehmen. Weil das auch Angela Merkel weiß, hat sie schon letzte Woche verfügt, dass der Abschiebestopp für alle gilt – außer für Straftäter. Dieser Merkel-typische Pragmatismus macht sie migrationspolitisch für SPD und Grüne so gut wie unangreifbar.
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