Luisa Kuhn über das Gefühl, das nach dem Thüringendebakel bleibt: Die Risse flicken
Eigentlich müsste man nach diesem Mittwoch so etwas wie ein kollektives Aufatmen verspüren, in Erfurt, Thüringen und bundesweit. Bodo Ramelow, der alte, neue Ministerpräsident Thüringens, ist wieder im Amt – faktisch ist der Ausgangszustand vor der verhängnisvollen Wahl Kemmerichs wieder erreicht. Und doch ist nichts wie zuvor.
Der Dammbruch des fünften Februar hat tiefe Risse hinterlassen – vor allem bei den Erfurter*innen. Seit jenem Mittwoch im Februar organisierte ein breites Bündnis immer wieder Demonstrationen in der Landeshauptstadt gegen die Wahl Kemmerichs und die Zusammenarbeit mit der AfD. Die Erfurter Studierendenschaft, die maßgeblich zu den Protesten beitrug, scheint nun müde und desillusioniert.
„Seit dem fünften Februar glaube ich an alles. Der Dammbruch ist passiert – in Thüringen ist alles möglich.“ Was eine Sprecherin des Protestbündnisses am Vorwahlabend sagte, spiegelt das Misstrauen und die Panik vieler wider. Hinter jedem Zug der AfD vermutet man einen strategischen Schachzug, auch wenn der Gedanke daran noch so unwahrscheinlich und irrational ist – beginnend mit der AfD-Finte, den Parteilosen Kindervater gegen Ramelow ins Rennen zu schicken. Aber spätestens mit der Bekanntgabe der Kandidatur des Faschisten Höcke scheint von Rationalität keine Spur mehr zu sein.
Zu Misstrauen und Ohnmacht mischt sich ein Gefühl der Frustration. Ich selbst, die oft in Erfurt mit demonstriert hat, frage mich, wie viel Zeit ich in den letzten vier Wochen investiert habe – in einen Protest, der nicht etwa mit großen Visionen überzeugte, sondern vielmehr mit der Notwendigkeit, zum Status quo zurückkehren zu müssen. Trotzdem müssen wir Demokratieverteidiger*innen uns spätestens jetzt dieser lähmenden Mischung aus Frust und Ohnmachtsgefühlen entziehen. Denn ein anhaltender Vertrauensverlust in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie wäre der raffinierteste Schachzug der AfD und gleichzeitig ihr größter Triumph.
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