Luis Rubiales nach der Frauen-WM: Verbotene Liebe überall
Frauenfußball mag aufholen und doch mündete auch die Weltmeisterschaft in Machismo. Leider haben noch immer die falschen Männer zu viel Macht.
Alles nur, weil England nicht gewonnen hat“, sagt mein Freund frustriert, als wir über den Übergriff – oder besser: die Übergriffe von Luis Rubiales reden. Der hatte der spanischen Angreiferin und neuen Weltmeisterin Jenni Hermoso einen Kuss auf den Mund aufgezwungen. Weil: Wie sonst feiert man, bitte, richtig?
Mein Freund ist viel wütender als ich. Einerseits, weil England schon wieder nicht den Titel geholt hat, andererseits natürlich über den Kuss, die Sprüche, den ganzen Sexismus von Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbands. Klar ist er wütender: Er, der Israeli, ist eiserner England-Fan, wenn’s um Fußball geht. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn Israel im kommenden Jahr erstmals bei der Männer-EM mitspielt.
Nicht aus Antizionismus, sondern schlicht aus fußballerischer Überzeugung. Und er ist, nun ja, ein Mann – und immer viel entsetzter als ich, wenn sich ein anderer Mann mal wieder eklig verhält. Ganz gleich ob Künstler, Schockrocker oder Medienfuzzi.
Schnell waren wir dann bei der Frage, ob und wenn ja, warum, Rubiales’ Übergriff der ganzen WM in Australien und Neuseeland mehr internationale Aufmerksamkeit verschafft hat als der Fußball selbst. „Auf der Station redet bei den Frauen keiner über das Spiel vom Vorabend“, grummelt mein Freund. „Aber an der Qualität des Fußballs liegt das nicht!“ – „Hast du denn die Spiele alle geschaut?“, frage ich. „Nee“, murmelt mein Freund, macht doch alleine keinen Spaß.“
Zu viel Aufmerksamkeit für Arschlöcher
Gut, immerhin haben bei dieser Frauen-WM mehr als 1,8 Millionen Menschen ein Spiel im Stadion gesehen, so viele wie nie zuvor, auch die Prämien, die ausgeschüttet wurden, waren ein Viertel so hoch wie die der Männer. Wow. Aber der richtig heiße Scheiß, also der, um den wirklich keiner herumkommt, wird Frauenfußball wohl erst, wenn eine kritische Masse mächtiger Männer ihn genau dazu erklärt. Ist doch bei jedem Hype dasselbe. Macht ist immer da, wo genügend Leute hinschauen. Und zwar wohlwollend. Sonst müsste die Letzte Generation ja längst eine Massenbewegung sein.
Komischerweise funktioniert die Sache mit der Macht nach rechts dann doch erstaunlich oft ohne explizit geäußertes Wohlwollen. Wie viele kritische Interviews mit und Talkshow-Einladungen von AfD-Politikern sind wir noch von der totalen Vermainstreamung ihrer menschenverachtenden Ideen entfernt – die ihren Wählern selbst übrigens am meisten schaden. Ich frage mich, wann letztere Erkenntnis endlich mal Allgemeinwissen wird.
Als Journalistin bin ich es ja gewohnt, mich jeden Tag zu fragen, wie viel Aufmerksamkeit ich den Arschlöchern schenken soll. Wie viel auf die gucken, die verletzen, und wie viel auf die, die verletzt werden. Wie viel auf die, die Probleme machen, und wie viel auf die, die Lösungen liefern. Lange war es mein journalistisches Ethos, immer dahin zu gehen, wo es weh tut. Aber irgendwie tut alles nur immer mehr weh. Weltpolitisch, meine ich. Und manchmal auch kulturell.
So gehen am Montag die Arschloch-Festspiele schlechthin zu Ende: die für den großen Antisemiten und Komponisten Richard Wagner in Bayreuth. Grundsätzlich finde ich es zwar richtig, Künstler und Werk zu trennen. Aber wie jüngste Debatten gezeigt haben, ist die Trennlinie zwischen beidem nicht immer eindeutig zu ziehen. Bei Wagner auf jeden Fall nicht.
„Wagner hat den Antisemitismus in der Kunstwelt sozusagen salonfähig gemacht. Nach dem Motto: Wenn der berühmte Wagner sich öffentlich antisemitisch äußert, dann dürfen wir das auch“, sagt etwa der Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer. Und: „An der Verbreitung des Antisemitismus trägt er eine Mitschuld.“
„Wie kommt es, dass so viel Kunst historisch eingeordnet, verletzende Worte gestrichen werden – zu Recht! –, aber Wagner weiter gefeiert wird?“, hat mich mein Freund verzweifelt gefragt. Wissen die Deutschen nicht, wofür seine Musik verwendet wurde?
Und warum ist er unter den Kollegen der heiße Scheiß – und nicht die Frauenfußball-WM?
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