Luftverschmutzung in Kiel: Keine saubere Sache
Die Deutsche Umwelthilfe macht Ernst und klagt gegen norddeutsche Städte wegen Schadstoffbelastung in der Luft. Kiel und Norderstedt sind zuerst dran
In Kiel und Norderstedt ist die Lage weiterhin prekär. In beiden Fällen konnte das zuständige Umweltministerium in Kiel bis zum Ablauf der Frist in der vergangenen Nacht keine Besserungen verkünden. Zwar sei das Ministerium des grünen Ministers Robert Habeck seit geraumer Zeit im Gespräch mit den betroffenen Behörden und erarbeite einen neuen Luftreinhalteplan, der sicherstellt, dass die Grenzwerte eingehalten werden können. „Dafür prüfen wir verschiedene Instrumente“, versichert Habecks Sprecherin Nicola Kabel.
Jedoch sei vor allem am Kieler Theodor-Heuss-Ring, nach Angaben der DUH die viertgiftigste Straße Deutschlands, die Situation vertrackt: eine viel befahrene Bundesstraße, schlechte Ausweichmöglichkeiten, steigende Verkehrsbelastungen. „Die Aufgabe ist also extrem anspruchsvoll“, sagt Kabel. Mit einer Lösung sei erst zum Anfang nächsten Jahres zu rechnen.
In Norderstedt wird die Hoffnung gehegt, das sich das Problem verflüchtigt. Wenn in einigen Jahren der sechs- bis achtspurige Ausbau der Autobahn A 7 nördlich des Hamburger Elbtunnels abgeschlossen sei, werde der Ausweichverkehr aus Norderstedt verschwinden – und die Situation sich von alleine lösen.
Nur Stuttgart, München und Reutlingen schlimmer als Kiel
Die DUH, die bereits gegen 16 Städte in Süd- und Westdeutschland Klagen eingereicht hat, will in den nächsten Tagen alle erhaltenen Antworten auswerten und daraufhin prüfen, ob die eingeleiteten oder beschlossenen Maßnahmen ausreichen, die Einhaltung der Luftqualitätswerte sicherzustellen. „Auf der Grundlage unserer Analyse entscheiden wir dann, welche nächsten Schritte folgen“, kündigte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch an.
Zwar freue die Umwelthilfe sich auch über außergerichtliche Einigungen. Allerdings „schreckt die DUH auch nicht davor zurück, gegen ignorante Kommunal- oder Landespolitiker die erforderlichen Maßnahmen gerichtlich durchzusetzen“, droht Resch unmissverständlich. Ziel seines Verbandes sei, „dass die Bürger in Deutschland 2018 saubere Luft in ihren Städten einatmen und hierzu die Hauptverursacher, schmutzige Diesel-PKWs, ausgesperrt werden“.
Nach Einschätzung der EU-Kommission werden in 170 Städten in 23 EU-Mitgliedstaaten die Vorgaben für gute Luft verletzt.
Nach EU-Angaben sterben jährlich etwa 70.000 Menschen in der EU an den Folgen zu hoher Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) in der Atemluft.
Stickstoffdioxid gilt als Auslöser für Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Für etwa drei Viertel dieser Emissionen ist unstrittig der Autoverkehr verantwortlich.
Laut Umweltbundesamt (UBA) ist der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Atemluft 2016 in Deutschland an fast 60 Prozent der Messstationen überschritten worden. Das bedeutet, dass in mehr als 80 Städten der Grenzwert überschritten wurde.
Im Norden sind Hamburg, Hannover, Kiel, Osnabrück und Göttingen besonders betroffen.
Nach Messungen des Umweltbundesamtes (siehe Kasten) wurden lediglich in Stuttgart, München und Reutlingen höhere Stickoxid-Jahresmittelwerte gemessen als in Kiel. Der Grenzwert von 40 μg (Mikrogramm) des Atemgifts pro Kubikmeter Luft wurde 2016 am vier- bis achtspurigen Theodor Heuss-Ring mit im Schnitt 65 μg deutlich überschritten. Von einem Fahrverbot wären allein 44.000 in Kiel zugelassene Dieselfahrzeuge betroffen.
Eine gewichtige Rolle spielt aber auch der Dieselruß von Kreuzfahrtschiffen. Auf die Luftverschmutzung durch Schiffe weist seit Jahren der Naturschutzbund (Nabu) Hamburg hin. In allen großen norddeutschen Häfen sei die Belastung durch Schiffsdiesel deutlich höher als durch den Autoverkehr. In hafennahen Quartieren Hamburgs seien die Schiffe sogar für 80 Prozent der Stickoxidemissionen verantwortlich. Deshalb müssten die Menschen in Hamburg, Bremerhaven oder Kiel, so der Nabu, „doppelt unter gesundheitsgefährdenden Belastungen in der Atemluft leiden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr