piwik no script img

Luftangriff von KundusEntschädigung nach Landessitte

Die Bundesregierung will für zivile Opfer zahlen, hat aber Fragen an den Anwalt Popal: Sind die Opfer tatsächlich tot, und waren es wirklich keine Taliban?

Begräbnis der Opfer des Luftangriffes in einem Massengrab. Bild: ap

Der Bremer Anwalt Karim Popal hat einen ersten Erfolg erzielt. Die Bundesregierung ist nun doch bereit, mit ihm über die Entschädigung ziviler Opfer des Bombardements von Kundus zu verhandeln. Ein entsprechendes Fax aus dem Verteidigungsministerium sei am Montag eingegangen, berichtete Popal.

Schon seit Wochen droht der deutsch-afghanische Anwalt mit einer Schadenersatzklage gegen Deutschland. In einem Amtshaftungsverfahren würde er dabei die Bundesrepublik für die Fehler von Oberst Georg Klein haftbar machen. Klein hatte Anfang September den Nato-Bombenangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklaster angeordnet. Weil er verhinderte, dass die US-Piloten vor dem Bombenabwurf die umstehende Menschenmenge warnten, könnte er für den Tod zahlreicher Zivilisten persönlich verantwortlich sein.

Nach Popals Recherchen sind bei dem Bombardement insgesamt 137 Dorfbewohner ums Leben gekommen, darunter 20 Frauen und 36 Kleinkinder. 20 weitere Dorfbewohner seien verletzt, 22 noch vermisst. Lediglich fünf Taliban seien bei dem Angriff getötet worden, behauptet Popal. Die offizielle afghanische Untersuchungskommission sprach von 69 getöteten Taliban und 30 toten Zivilisten. Der Anwalt sagt, dass er die Familien von 78 Opfern vertritt. Die Angehörigen habe er mit Hilfe der afghanischen Frauenorganisation "Rechte für die Frauen" und örtlicher Menschenrechtler ermittelt.

Vor der Aufnahme von Verhandlungen verlangt die Bundesregierung jedoch weitere Informationen. Sind die von Popal benannten Opfer tatsächlich tot? Da die Leichen sofort begraben wurden, konnte ihre Identität nie unabhängig geklärt werden. Waren die Toten wirklich keine Taliban? Vertritt Popal tatsächlich die Angehörigen? Oft hat er auf seinen Vollmachten nur einen Fingerabdruck. Auch vor Gericht würden diese Fragen eine zentrale Rolle spielen.

Außerdem sind internationale Amtshaftungsprozesse auch rechtlich hoch kompliziert. So scheiterten die Angehörigen der Opfer eines NS-Massakers im griechischen Distomo vor deutschen Gerichten. Auch Hinterbliebene und Opfer eines Nato-Bombenangriffs im serbischen Varvarin aus dem Jahr 1999 klagten bisher erfolglos.

Dass Deutschland sich jetzt auf eine außergerichtliche Einigung einlassen will, heißt also nicht, dass man sich in einer schlechten prozessualen Situation sieht. Zum einen will man sicher die Lage in Afghanistan stabilisieren und Blutrache ausschließen. Vermutlich will man aber auch eine neue Medienfront und eine eventuelle gerichtliche Untersuchung verhindern.

Laut der Hannoverschen Allgemeinen liegen 3 Millionen Euro für Entschädigungen bereit. Das Verteidigungsministerium bestätigte diese Zahl am Dienstag ausdrücklich nicht. Ein Sprecher erklärte lediglich: Man werde "nach den "landestypischen Sitten und Gebräuchen in Afghanistan" vorgehen, also unter Vermittlung örtlicher Autoritäten.

Auch die Anwälte wollen am Ende bezahlt werden. Der persönlich sehr engagierte Popal arbeitet mit dem Berliner Advokaten Andreas Schulz zusammen, einem ausgebufften Spezialisten für internationale Entschädigungsklagen, sowie mit dem Frankfurter Anwalt Oliver Wallasch. Dieses Jahr versuchten die zwei erfolglos, mutmaßliche somalische Piraten zu vertreten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

19 Kommentare

 / 
  • S
    schlegel

    @ P.Haller:

     

    "@an all die dumpfen Kommentar-Schreiberlinge."

     

    Nach Ihrem Kommentar zu urteilen, scheinen Sie Selbstgespräche zu führen.

  • G
    grifter

    Normalerweise gehören die Eltern von angeblich ge-

    töteten Kleinkinder wegen vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht vor ein Gericht. Aber das Zauber-

    wort "Kriegsverbrechen" öffnet die Kassen des Westen

    Die Nato sollte sich so schnell wie möglich aus

    diesem Kral zurückziehen, aber vollständig und

    auch die Nahrungsmittellieferungen, die medizinisch-

    en Leistungen , die Aufbauhilfe und jede Form von

    Zuwendung lassen. Dann haben die armen Afghanen

    endlich ihre Würde wieder und Jürgen Todenhöfer

    kommt dann zum spielen zu ihnen und die Welt ist

    wieder gut.

  • P
    P.Haller

    @an all die dumpfen Kommentar-Schreiberlinge.

     

    Wenn eure geliebte Bundesregierung nicht so verlogenes Geschwätz absondern würde, dann müsstet ihr alle nicht mit eurem menschenverachtenden Gelaber ("nur ein toter Afghane ist ein guter Afghane") wild herumspekulieren.

    Euch ist es doch vollkommen egal, ob es Taliban oder Zivilisten getroffen hat. Hauptsache es hat richtig gerumst !! Pharisäertum hoch 3 !!!

  • HL
    Hartwig Lein

    In einer Dokusendung nach dem Luftschlag haben afghanische Mullahs den Angriff verteidigt und gesagt, dass ausschliesslich Taliban und kriminelle Benzindiebe umgekommen sind. Wo sollen da Frauen und Kleinkinder gewesen sein? Man sollte diesem Lügenanwalt die Zulassung entziehen.

  • J
    Janina

    Was für eine Unverschämtheit. Deutschland hilft dem afghanischen Volk, deutsche Soldaten riskieren ihr Leben, um die Afghanen zu schützen und jetzt kommt so ein geldgeiler afghanischer Anwalt und verklagt uns.

     

    Sorry, ich würde Herrn Popel mal bieten seinen Ar...zu bewegen und seinen Landsleuten in Afghanistan zu helfen und nicht in warmen Büro den Steuerzahler den letzten Cent zu klauen.

     

    Aber der dumme deutsche Michel wird mal wieder bezahlen.

  • A
    addizzy

    Und was meint Ihr Schlaubürger unter den taz-LeserkommentatorInnnen wohl, warum die teutsche Regierung es erst jetzt eilig hat und n.a. unbedingt "eine eventuelle gerichtliche Untersuchung verhindern" will?!!

    Die seit längerem diversen themen- (Kundus) und mir derzeit ersichtlichen artikel-kontextuellen 5 Kommentare spiegeln mit wenigen Ausnahmen vor allem durchwegs Eines:

    Absolutes Unverständnis (Mangels Wissen-wollen), Hybris und Neid.

    Wenn die Majorität der taz-Leserschaft die zeitgenössische taz und deren Artikel derart kommentiert, mag das sicher auch mit der 'Qualität' des in der taz Publizierten im Zusammenhang stehen; So derlei Zustimmung fände, plädierte ich dringend für eine subordinative Fusion mit der Bild!

    Schon, um derlei KommentatorInnen ziel-sicher Heim zu bomben!

  • FT
    Fritz Teich

    Andreas Schulz ist ja wohl ein extremer Unsympath. Wieso der ausgebufft sein soll erschliesst sich mir nicht.

  • RM
    Reinhold Maier

    ..nach Landessitte..

     

    bitte wie hoch ist die Entschädigung nach Landessitte?

     

    Gab es überhaupt schon mal eine Entschädigung oder nur Forderrungen?

     

    Bei den deutschen wird diese Entschädigung vermutlich das 10fache betragen,

    und es ist zu befürchten dass das auch gezahlt wird.

  • V
    vic

    Reichlich spät von deutscher Seite, sich zu fragen ob die Opfer wirklich so wenig Taliban waren.

    Hätte Herr Klein sich mal vorher Gedanken machen sollen.

    Zudem sieht ein toter Taliban auch nicht anders aus, wie jeder andere Tote in Afghanistan auch.

    Und die getöteten Kinder sind lange schon bestätigt.

  • M
    Martin

    Wenn man hier manche Kommentare liest, ist es erstaunlich. @ Schlegel: Das 'weit abgelegene Flußbett' lag offenbar in der Nähe afghanischer Dörfer - wie hätten die Zivilisten dorthin kommen können? Durch Shuttle-Busse der Bundeswehr? Und dass Frauen ihre Kleinkinder nicht alleine in der Hütte lassen, wenn sich das Dorf zum 'Benzinklau' aufmacht, wundert mich nicht. Die dortigen Leute sind, bis auf korrupte Regierung, Drogenbosse, korrupte Verwaltung, bettelarm, so dass natürlich das komplette Dorf die Gelegenheit nutzt, noch dazu im Ramadan, wo das Leben nachts stattfindet. Aber davon abgesehen: liebe Freunde dieses 'Kampfeinsatzes': ihr seid für den Krieg, aber gegen die dortigen Leute (Benzinklauer)? Und was ist mit dem Spruch, 'wir' leisten dort angeblich eine 'Hilfe' für die Afghanen im 'Bürgerkrieg'? Das hat man uns als Sinn des Krieges 'verkauft'. Gefragt hat man weder die Afghanen noch uns. Diese dürfen lebendig verbrannt werden. Wir dürfen jährlich Milliarden für das Militär zahlen - nun auch noch für dessen Morde: Extrazahlungen der Steuerzahler sind nun angesagt, erst für die Mörder, dann für die Morde. Schöne neue Welt. Ich frage mich nur, wie lange der Irrsinn noch dauert.

  • T
    taipan

    Es haben wohl einige Personen den eindruck bekommen, jetzt gross absahnen zu können.

  • W
    Wardog

    Dass Krieg ein dreckiges Geschäft ist, zeigt sich nicht zuletzt an Kriegsgewinnlern. Nichts destotrotz sollte man sich von der Hökerei mit den Toten nicht beirren lassen:

    1.Der Angriff war de facto nicht rechtmässig.

    2. Dass deutsche Truppen an einem Angriffskrieg beteiligt sind ist und bleibt verfassungswidrig. Auch wenn man sich langsam daran gewöhnt hat.

    3. Die Verantwortlichen der Bundeswehr und die Politiker haben gelogen.

    4. Die Praxis, Menschen zu bombardieren und dann etwas knickerig Entschädigung zu zahlen, damit kein böses Blut entsteht und sich die Leute dann auch in Zukunft frohen Mutes bombardieren lassen (ist ja wie ein Sechser im Lotto!) ist moralisch einfach verkommen!

    5. Der Krieg bekämpft nicht die Taliban. Er verschafft Ihnen neue Sympathisanten.

  • AM
    Afgahn Man

    Kriegsverbrechen kann man mit Geld nicht wieder gutmachen, es müssen strafrechtliche Konzekuenzen folgen.

  • C
    chris

    Schadensersatzzahlungen aus Steuergeldzahlungen leisten, obwohl nicht einmal die Identität der angeblich zu Tode gekommenen unabhängig festgestellt wurde? Sollte tatsächlich Geld fließen, dann droht der Bundesregierung das nächste Verfahren. Diesmal wegen Amtsuntreue!

  • S
    schlegel

    Wie kommen den 36 Kleinkinder mitten in der Nacht in einem weit abgelegenen Flußbett unter die 137 Toten? Und selbstverständlich waren es nur 5 Taliban. Das ist so absurd, dass offensichlich auch Herr Rath Zweifel hegt.

     

    Die Erklärung findet sich im letzten Satz: Auch die Anwälte wollen am Ende bezahlt werden. Und da wird von den 3 Millionen sicher auch genug für Herrn Popal übrigbleiben. Was von ihm zu halten ist, sieht man schon an der Wahl seiner Mitanwälte. Leider wird deren Geltungssucht auch noch von den Medien kritiklos übernommen ("ausgebufft").

  • E
    end.the.occupation

    >> So scheiterten die Angehörigen der Opfer eines NS-Massakers im griechischen Distomo vor deutschen Gerichten.

     

    Ein Vergleich, der das Geschehen in Kunduz genau in den richtigen Kontext setzt - wenn auch vermutlich nicht so beabsichtigt.

     

    Oberst Klein übt Blutrache für die gefallenen Kameraden. Gut erfasst Herr Rath. Bravo!

     

    Auch die Taliban-Frage gefällt. Warum nicht Dörfer und Städte bombardieren und niederbrennen. Es könnten ja Taliban darin gelebt haben. Und wenn es unseren Jungs nutzt...

    Warum nicht wie einst die Vorväter?

     

    Und - für die Beantwortung der Taliban-Frage konsultieren wir natürlich Kleins Vorgesetzte. Perfekt gemacht. Westliche Werte in Reinkultur!

     

    Sie hassen uns wegen unserer Freiheit. Genau - das muss es sein.

  • S
    symphatisant

    Ein Opfer von jahrelangen Menschenrechtsverletzungen in Deutschland hat keinen Anspruch auf Entschädigung. Aber für diese talibanischen Benzindiebe reißen sich die besten Anwälte den Arsch auf und die Bundeskanzlerin entschuldigt sich persönlich. Das verstehe wer will.

  • D
    Dolph

    Wow, jetzt sind also sogar mehr Zivilisten unter den Opfern, als es insgesamt Tote gab? Respekt, das ist vermutlich die berühmte afghanische Arithmetik...

  • C
    charlotte

    "Lediglich fünf Taliban seien bei dem Angriff getötet worden..." na so ne Pleite