: „Los, Arschwackeln – mehr!“
■ Ein öffentlicher Opernworkshop über „Streit und Versöhnung“ in der Musikhochschule/ Heute abend Abschlußaufführung
„Du mußt deutlich werden – zieh sie ran!“ „Warum sublimierst Du mit den Händen, was Du eigentlich mit den Hüften machen willst?“ „Los, Arschwackeln – mehr!“ „Zeig ihm, was Du von dem Gejammer hältst: Die Nummer hat er schon tausendmal abgezogen!“ Zur Sache geht's, wenn heute abend in der Musikhochschule die StudentInnen der Gesangsklasse „Streit und Versöhnung“ spielen.
Die Aufführung ist das Ergebnis eines Opernworkshops, zu dem die Regisseurin Christa Leiffheidt alle Interessierten eingeladen hat. Gewissermaßen als Ersatz für das, was derzeit an der Hochschule gar nicht stattfindet: Noch immer ist der szenische Unterricht für GesangsstudentInnen nur die Ausnahme im Bewußtsein und Plan der AusbilderInnen. Denn Gesang zu studieren, ist das eine, szenische Ausbildung das andere. „Streit und Versöhnung“ soll beides verbinden, und zwar mittels einer bunten, witzigen Mischung von Opernduetten. So brav das klingt, so wenig ist es das. Hier werden keine Ausschnitte abgenudelt, sondern ein durchgehender Abend über „Beziehungskisten“ zusammengestellt.
Ein solcher Abend ist an einer Musikhochschule – im Gegensatz zu Konzertveranstaltungen etwa – nicht gerade üblich. Wie kommt das? „Manchmal denke ich, viele Gesangslehrer haben irgendeine Angst, diese andere, sehr direkte Ebene zuzulassen“, sagt Leiffheidt. „Die meisten GesangslehrerInnen bringen ihren Schülern eine Körperhaltung bei, die der natürlichen vollkommen widerspricht. Auch koppeln Sie den Ausdruck vom Körper ab, meinen, ihn nur der wie auch immer großartigen Stimme zuordnen zu müssen.“
Beispielhaft für Christa Leiff-heidt ist das Musiktheaterinstitut in Karlsruhe. Dort macht man in vier Semestern Grundkurs zunächst nur Körperübungen, ehe man zur Aufnahmeprüfung ins Opernstudio antreten kann. Bei solcher Konkurrenz ist „das, was wir hier in Bremen machen, abgefahrener Irrsinn“, sagt die Regisseurin. „Aber ich wollte den StudentInnen helfen, es einmal auszuprobieren und ihnen ganz klar machen, wie schwer das ist und wo sie stehen.“
Bei der Probe ist zu spüren, wie für dieses eigentlich zu hoch gesteckte Ziel gearbeitet wird. Aus jeder Szene wird eine existentielle Situation gemacht – „Vorsicht! Nicht: Herr Kammersänger!“, warnt die Regisseurin. Um Zugang zu den Streit- und Versöhnungsduetten zu finden, hat sie zunächst zu bestimmten Alltagssituationen stumm improvisieren lassen und diese Improvisationen dann zur Grundlage der Besetzungen und der szenischen Wiedergabe gemacht. „Dadurch war die Fiktion und die Realität relativ leicht zur Deckung zu bringen. Wir haben dann nur noch die Musik untergelegt.“ Und so glotzen Albert Lortzings Bacculus und Grete (Der Wildschütz) kommunikationslos aneinander vorbei, Mozarts Almaviva und Susanna (Hochzeit des Figaro) gefallen sich in der gegenseitigen echten oder berechnenden Verführung, kriegt Mozarts Masetto einen Tobsuchtsanfall und turtelt Zerlina in seinen Armen eigentlich doch mit Don Giovanni (Don Giovanni): Wenn das nicht das Leben ist!
„Kopf ausschalten, loslassen! Nicht wollen, sondern sein!“ Christa Leiffheidt baggert und baggert, läuft den jungen SängerInnen anfeuernd nach, mit Erfolg, wie allein diese Probe zeigt. Um ihre Auffassung von Oper rüberzubringen, braucht sie keine ganze Oper und keine Profis: „Jede Oper ist eine Reaktion auf eine politische und persönliche Realität.“ Und wenn man die Biographie der Komponisten mit der gespielten Zeit des Stückes und der Entstehungszeit der Oper in Verbindung bringe, „gehen einem über die Aktualität alle Kronleuchter auf!“
Ute Schalz-Laurenze
Abschlußaufführung heute um 20 Uhr, Galerie der Hochschule, Dechanatstr. 13
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen