López Obrador und die Presse: Mexikos Präsident verteilt Zensuren
Der mexikanische Präsident López Obrador schimpft bei Pressekonferenzen über Journalisten. Die Mehrheit von ihnen sei verrottet.
A ndrés Manuel López Obrador mag keine Katastrophenbilder. Regelmäßig betont der mexikanische Präsident, man sei seit Monaten auf das Coronavirus vorbereitet und es gebe keinen Grund zur Panik. Wenig verwunderlich also, dass ihm das Titelbild, das die Wochenzeitung proceso jüngst veröffentlichte, gar nicht gefiel. „Der Albtraum“, war dort zu lesen, bebildert mit einer Aufnahme von Bestattern in Schutzkleidung, die Leichen in ein Krematorium tragen.
In der Tat helfen solche Aufmacher wenig, wenn es gilt, die Menschen zu beruhigen und rationales Handeln zu fördern. Und sicher hatte López Obrador recht, als er sagte, der proceso-Gründer Julio Scherer würde sich bei solchen Titelbildern im Grabe umdrehen.
So weit, so gut. Doch der Staatschef projizierte den Titel in einer seiner täglichen Pressekonferenzen auf eine Leinwand und prangerte ihn aggressiv an. Die Mehrheit der Journalisten sei verrottet, einen professionellen, unabhängigen Journalismus gebe es nicht, schimpfte er später und zählte namentlich auf, welche Pressevertreter was taugten und welche nicht. Zugleich betont er: „Ich zensiere nichts, nichts, nichts. Verbieten ist verboten.“
López Obrador würde in der Tat nicht zensieren, verteilt aber ständig Zensuren. Medienschaffende, die ihn kritisieren, beschimpft er als konservativ. Das trifft Wirtschaftsjournalisten, die Unternehmern nahe stehen, ebenso wie linke Reporterinnen, die seine Großprojekte auf Kosten der indigenen Bevölkerung infrage stellen.
Tödliche Hetze gegen Journalisten
Wem seine Politik nicht gefällt, der wird seiner Ansicht nach von rechten Mächten geleitet, die ihn stürzen wollen. In einem Land, in dem mit am meisten Journalisten weltweit ermordet werden, kann solche Hetze tödlich sein. Die Organisation für Pressefreiheit, Artículo 21, forderte den Staatschef deshalb auf, sein Stigmatisieren einzustellen.
Nicht immer ist nachvollziehbar, wer für López Obrador von bösen Mächten geleitet wird und wer nicht. Jüngst erklärte der Moderator Javier Alatorre im Fernsehsender TV Azteca, man solle die Maßnahmen zur Covid-19-Bekämpfung der Regierung ignorieren. Das ist etwa so, als würde Caren Miosga in den „Tagesthemen“ dazu aufrufen, Coronapartys am Brandenburger Tor zu feiern.
Außer Frage stand, dass hinter den Äußerungen Alatorres der TV-Azteca-Besitzer Ricardo Salinas Pliego steht. Denn Pliego ist Eigentümer der Firmenkette Grupo Salinas, die schwer unter den Restriktionen leidet. Und er ist ein Partner des Präsidenten. Nicht zuletzt die Geschäfte mit der Regierung machten ihn zum zweitreichsten Mann Mexikos.
Seine Versicherungen schützen den öffentlichen Sektor, ein Unternehmen sorgt für die Videoüberwachung in Mexiko-Stadt. Und so hatte López Obrador große Nachsicht mit dem Moderator. Sein „Freund Javier Alatorre“ habe sich halt mal geirrt, sagte er, aber nun dürfe man ihn auf keinen Fall politisch lynchen.
Der Coronabeauftrage als Shootingstar
Dennoch wurden massiv Forderungen laut, TV Azteca die Lizenz zu entziehen. Das liegt auch daran, dass Alatorre etwas getan hat, was man derzeit auf keinen Fall tun sollte: Er hat Hugo López-Gatell angegriffen. Der Coronabeauftragte der Regierung ist Mexikos Shootingstar. Im Internet zirkulieren Jugendfotos des 51-Jährigen, Frauen schicken Liebesbriefe, auf WhatsApp machen Sticker die Runde, selbst Lieder sind dem Epidemiologen gewidmet.
López-Gatell spricht in einer täglichen Sondersendung besonnen, eloquent und Vertrauen erweckend über die aktuelle Entwicklung: über den Sinn des Zuhausebleibens, über die neuen Totenzahlen und selbst über den „Bioethik-Führer“ – jene Vorgaben, die angesichts mangelnder medizinischer Versorgung regeln, wer an ein Beatmungsgerät angeschlossen und wer sterben wird. „Der López in diesen Zeiten ist nicht Andrés Manuel, sondern Gatell“, titelte jüngst eine Tageszeitung. Das ist auch gut so.
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