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Londoner Rapperin Little SimzDer Bruder sitzt im Knast

„Grey Area“ heißt das neue Album der Rapperin Little Simz. Ihr Stil changiert zwischen aggressiver Schnelligkeit und entspanntem Storytelling.

Nutzt in ihren Texten keine billigen Parolen: Little Simz Foto: Tam Cader

Die Zukunft ist am Arsch. Das könnte zumindest meinen, wer Berichte über politische Entwicklungen in einem globalen Zusammen verfolgt und über den immer dramatischer verlaufenden Klimawandel nachdenkt. In dem Stück „Pressure“, das die Londoner Rapperin Little Simz zusammen mit der Popband Little Dragon aufgenommen hat, beschreibt die 25-Jährige mit klaren Worten die Hilflosigkeit angesichts dieser düsteren Aussichten.

Zu Pianoklängen in Moll, rumpelnden HipHop-Beats und schwelenden Synthesizern singt ein Backgroundchor „Caught in a lifestyle“. Pessimismus angesichts von Gewalt, Kriegen und Sexismus ist angebracht, aber der Track bleibt nicht bei Lifestyle-Kritik stehen. An einer Stelle rappt Little Simz, die eigentlich Simbiatu Ajikawo heißt: „Shit really got me down / But I’m still gonna succeed in life!“ Auch wenn sie die Lage runterziehe, sie wird trotzdem ihr Ding durchziehen. Es ist eben nicht alles nur schwarz oder weiß. Differenziert zu urteilen, das macht die britische Künstlerin auf ihrem neuen Album „Grey Area“ zum Programm.

Seit ihrem letzten Werk „Stillness in Wonderland“ sind zwei Jahre vergangen – für die äußerst produktive Little Simz fast eine Ewigkeit. In der Zwischenzeit war die Britin auf ausgedehnter Tour, trat sowohl solo als auch für das Pop-Projekt Gorillaz in Erscheinung. Fast schon ironisch, dass genau die Musik, mit der sie immer wieder Skepsis gegenüber der Schnelllebigkeit des Business äußert, Little Simz auf die große Bühne katapultiert hat. Zumal sie von Anfang an unabhängig und selbstbestimmt gearbeitet hat und ihre HipHop-Tracks auf ihrem eigenen Label Age 101 veröffentlicht. Ihr konsequenter DIY-Ansatz führt für sie selbst zu mehr Arbeit. Vielleicht zu viel, denn irgendwann ist Little Simz in eine Depression geraten.

Little Simz: „War für mich wie eine Therapie“

Trotzdem begann sie die Arbeit an „Grey Area“, dem neuen Album. „Es war für mich wie eine Therapie“, erklärt die Künstlerin. „Manche erleben krasse Sachen und nehmen Drogen oder tun sonst was, um mit Druck und der Öffentlichkeit klarzukommen. Es ist ein Geschenk, dass mir das allein durchs Musikmachen gelungen ist und ich mich auf diese Weise heilen konnte.“

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Auf ihrem letzten Album hatte sie sich in Richtung Jazz und akustische Sounds geöffnet, was das neue Album erneut aufgreift. Little Simz und ihr Kollege Inflo, mit dem sie die meisten Instrumentals produziert hat, kanalisieren diese musikalische Vielfalt in eine Essenz, die Drumbeats als Kern­element hervorhebt.

Das dritte Album von Little Simz wirkt wie die folgerichtige Synthese aus ihrem elektronisch klingenden Debüt „A Curious Tale of Trials + Persons“ und dem beinahe luftigen „Stillness in Wonderland“. Rumpelnde Breakbeats sind Motor der Instrumentals, knarzige Bässe erzeugen zusätzlichen Druck. Zwischen den rauen Beats lockern immer wieder Gitarrenriffs und Pianotupfer auf.

Das Album

Little Simz: „Grey Area“ (Age 101/AWAL)

Der Albumtrack „101 FM“ erinnert mit galoppierenden Beats und quirligen Melodien deutlich an das britische Dancefloor-Genre Grime. Little Simz reflektiert damit ihre Jugend, nennt Grime-MC Dizzee Rascal und US-Rapper Busta Rhymes als Vorbilder. Der Titel funktio­niert als Verneigung vor dem Piratenradio, das in Großbritannien seit jeher eine große Rolle bei der Durchsetzung von Grime, HipHop, Dubstep gespielt hat. „Früher war das wie ein Lebensstil, der bestimmte, welche Musik man hört, wie man Beats macht und was für Kleidung man trägt“, erinnert sich Little Simz. „Das hat mich stark geprägt. Wenn man sich mit Grime auskennt, merkt man an meinem Flow, dass ich damit aufgewachsen bin, auch wenn ich das in andere Arten von Musik übertrage.“

Im Auftakttrack ihres Debütalbums rappte 2015 Little Simz: „Women can be kings“. Auf ihrem neuen Album gibt sich die Nordlondonerin als „Boss“, reimt auf „Venom“ in Wortkaskaden über Männer, die nicht damit klar damit kommen, dass die Stärke von Frauen nicht erst betont werden muss. „Ich denke, dass es besser geworden ist, aber es gibt immer noch Männer, die denken, dass sie Frauen überlegen sind. Ich werde aber bei diesem Thema nicht nachlassen“, betont Little Simz. „Ich habe eine Message, die ich weiter mit Nachdruck vertreten werde. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, die Stärke von Frauenstimmen zu zeigen.“

In ihrem versatilen Rap-Stil zwischen aggressiver Schnelligkeit und entspanntem Storytelling reflektiert Little Simz auch persönliche Erfahrungen, verarbeitet ihre Depression und gescheiterte Beziehungen, unterstreicht ihre Position als Gesellschaftskritikerin, wenn sie Gewalt und Rassismus in England thematisiert. Dabei nutzt sie keine billigen Parolen oder abgegriffenen politischen Schlagworte. Little Simz rappt aus ihrer eigenen Perspektive über konkrete Erfahrungen. „Im Zentrum meines Albums bin sicher ich, aber meine Erfahrungen sind sicher stellvertretend für viele andere. Wenn ich in ‚101 FM‘ sage ‚Just another black boy in the system doing time in bin‘, können das viele Frauen nachvollziehen, deren Freund oder Bruder im Knast sitzen. Ich erzähle die Geschichten von vielen durch meine eigene.“

Dass sie dabei auch die Zukunft im Blick hat, haben unter anderem die Singles „Offence“ und „Boss“ gezeigt. In Musikvideos stehen immer wieder Kinder im Mittelpunkt und damit nicht die Zukunft als politisches Programm oder abstraktes Versprechen, sondern als Menschen. „Kinder sind die nächste Generation, die wichtige Entscheidungen treffen wird. Ich möchte ihnen einfach zeigen, dass ihre Stimmen genauso wichtig sind wie die der Erwachsenen.“ Es gibt also noch Chancen auf eine lebenswerte Zukunft.

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