Lobbying durch Patientenorganisation: Mit den Mitteln der Pharmaindustrie

Ein krebskranker Patientenvertreter wirbt für eine EU-Verordnung zu Arzneistudien, die Standards senkt. Sein Verein bekommt Geld von Arzneifirmen.

Wecken auf jeden Fall Empathie: An Leukämie erkrankte Kinder. Bild: dpa

BERLIN taz | Es ist ein Brief, der keinen Parlamentarier kalt lässt: „Als eine Stimme von Krebspatienten möchten wir uns an Sie wenden.“ So beginnt ein Schreiben, das Jan Geißler aus dem bayerischen Riemerling im September an den Gesundheitsausschuss des Bundestags geschickt hat. Geißler ist Vorsitzender der Patientenorganisation LeukaNET e. V. – und vor elf Jahren, mit 28, an Leukämie erkrankt.

„Als Krebspatient“ hat er ein Anliegen: Es betrifft den Entwurf der EU-Kommission für eine neue Verordnung über klinische Prüfungen mit Arzneimitteln. Über den berät der Bundesrat am Freitag. Im Kern geht es darum, dass die EU die ethischen Standards dieser Studien aufweichen will, auch die Schutzvorschriften für Patienten.

Doch was die Ärztekammer auf die Palme bringt, ist für Geißler im „Grundtenor positiv“: „Studien sind mit Risiken verbunden. Null Risiko für Patienten wäre optimal, aber null Therapieoptionen sind nicht akzeptabel – insbesondere für Krebspatienten.“ Die Politiker bittet er, „die direkte Patientenstimme einzubeziehen“.

Was Geißler nicht schreibt: LeukaNET, das auf seiner Internetseite leukaemie-online.de behauptet, „ohne kommerzielles Interesse als unabhängige Gemeinschaft von Patienten für Patienten“ zu agieren, wird von der Industrie unterstützt. Geldspenden werden laut Impressum „von der forschenden Arzneimittelindustrie“ angenommen; als Gegenleistung für Sponsorengelder bietet leukaemie-online „die Nennung des Sponsors auf Veranstaltungseinladungen in angemessener Form“.

Keine Einflussnahme?

Glaubwürdigkeitsprobleme? Geißler lacht ins Telefon: „Mir schraubt doch niemand den Kopf ab. Interessenkonflikte schließe ich aus.“ Patienten, sagt er, wollten frühzeitig in die Erforschung neuer Medikamente eingebunden werden und an Medizinkongressen teilnehmen – ohne die Industrie sei das aber für die wenigsten bezahlbar.

Auch seine Bewertung der EU-Verordnung sei nicht durch Dritte beeinflusst worden: Schon gar nicht etwa durch Stefan Führing, den EU-Beamten, der den Entwurf für den Gesundheitskommissar John Dalli maßgeblich verfasst hat, und den Geißler, wie er einräumt, persönlich kennt: Führing und er treten schon mal gemeinsam auf Veranstaltungen auf. „Ich bin unabhängig“, sagt Geißler. Auch von der Brüsseler Lobbyistin Ingrid Klingmann, die mitunter auf Podien mit Führing und Geißler sitzt und durch ihren Einsatz zugunsten industriefreundlicher Standards bei klinischen Arzneimittelprüfungen auffällt.

Klingmann ist in unterschiedlichen Funktionen unterwegs, als „Past President“ der Arbeitsgemeinschaft für Angewandte Humanpharmakologie, als Pharmaberaterin oder als Uni-Dozentin. Derzeit sitzen Geißler und Klingmann im „Board“ der Brüsseler Lobbyorganisation European Forum for Good Clinical Practice.

Erkaufte Authentizität

„Das ist ein gefährliches Feld“, sagt Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Industrie kaufe sich von den Patienten, was sie selbst nicht besitzt: Authentizität. In ihrer Not pfeifen Todkranke auf ethische Standards von Studien. Schätzungen von Verbraucherschützern zufolge nimmt ein Drittel aller Selbsthilfevereine industrielle Unterstützung an.

Jan Geißler steht dazu. Seit Februar verdient er sein Geld auch im Hauptjob dank der Pharmaindustrie: Geißler ist Projektkoordinator der Europäischen Patientenakademie zu therapeutischen Innovationen in Brüssel. Die will Patientenvertreter so weiterbilden, „dass sie Studienprotokolle verstehen, Zugang zu Internetbibliotheken finden und kompetent auftreten“. Die Akademie wird zu 81 Prozent aus EU-Mitteln finanziert, den Rest schießt der Lobbyverband European Federation of Pharmaceutical Medicine zu.

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