LobbyControl über Bundesregierung: Schwarz-Rot sieht rot

Der Verein LobbyControl zieht eine negative Bilanz der großen Koalition. Sie sei für Skandale wie Dieselgate mitverantwortlich.

Sitzung im Bundestag

LobbyControl wirft der Großen Koalition Versagen vor Foto: dpa

BERLIN taz | Unter dem Motto „Aussitzen statt anfangen“ hat der gemeinnützige Verein LobbyControl am Mittwoch in Berlin seinen Lobbyreport über die große Koalition vorgestellt. Fazit: Lobbyismus ist in Deutschland weitgehend intransparent und schlecht reguliert. „Schwarz-Rot hat bei der Lobbykontrolle versagt“, so Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl.

Die Union habe notwendige Reformen blockiert und der SPD sei die Lobbyregulierung nicht wichtig genug gewesen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben seien umgesetzt worden, jedoch ohne den nötigen Biss. LobbyControl fordert ein verpflichtendes Lobbyregister, eine transparente, regulierte Parteienfinanzierung, die Neuregelung der Abgeordnetenbestechung und neue gesetzliche Karenzzeiten.

In Berlin arbeiten nach Angaben von LobbyControl täglich mehrere tausend Lobbyisten. „Seitens der Behörden und Parteien gibt es ein mangelndes Problembewusstsein mit dem Umgang der Lobby“, sagt Timo Lange, Autor des Berichts. Lobbyskandale wie „Rent-a-Sozi“, „Dieselgate“ und „Cum/Ex“ hätten einen finanziellen Schaden angerichtet, der in die Milliarden gehe.

Der allgemeine Schaden sei jedoch viel höher: „Solche Skandale zerstören das Vertrauen der Bevölkerung in politische Institutionen, unsere Demokratie steckt in der Krise“, so Dierßen. Diese hätten auch den Aufstieg der neuen Rechten in Europa und den USA gefördert und seien eine Steilvorlage für Protestwähler.

Imke Dierßen

„Unsere Demokratie steckt in der Krise“

Im Bericht gibt es sechs Handlungsfelder, die LobbyControl nach Ampelsystem bewertet: Grün bedeutet, dass in diesem Bereich kein Handlungsbedarf vorhanden ist. Bei orange gab es leichte Verbesserungen, aber es sind noch weitere Maßnahmen nötig. Und rot: Großer Handlungsbedarf, da keine Regelungen bestehen oder die bisherigen schlecht sind. In den Bereichen vergab LobbyControl dreimal gelb und dreimal rot, kein Handlungsfeld wurde mit grün bewertet. „Im Bericht 2015 hatten wir von einem langsamen Fortschritt gesprochen, dieser ist jetzt zum Stillstand gekommen“, so Dierßen.

Diese Bereiche bewertet LobbyControl mit rot

„Bei den roten Ampeln gibt es einen ohrenbetäubenden Stillstand“, sagt Lange. Es habe mittlere bis große Skandale gegeben, dafür aber nur an kleinen Stellen eine Reformation.

Transparenz: Die Mehrheit der Bevölkerung und eine rechnerische Mehrheit der Bundestagsabgeordneten spreche sich für ein Lobbyregister aus. Die SPD stellte einen dementsprechenden Gesetzesentwurf vor, die Union blockierte den Vorschlag. Zudem gab es aus der Opposition einen entsprechenden Entwurf, der auch mit Stimmen aus der SPD abgelehnt wurde.Irland, Kanada, Österreich und Belgien haben bereits ein Register, in das sich Lobbyleute eintragen müssen.

Der Bundestag führte 1972 eine Verbändeliste ein, jedoch kann sich dort nur ein Teil der Lobbyakteure eintragen. Die Eintragung ist freiwillig und mit keinen Rechten oder Pflichten verbunden. Heute hat sich der Lobbyismus verändert, ist vielfältiger und professioneller geworden. LobbyControl sieht die Lösung in einem verpflichtenden Register: Hier müsste sich jeder Lobbyist eintragen und seine finanziellen Hintergründe offenlegen. Das Register soll zudem kontrolliert werden, bei Verstößen gibt es Sanktionen.

Gesetzgebung: In Ministerien entstehen die meisten Gesetzesentwürfe, Lobbyisten nehmen darauf Einfluss. Es sei nicht falsch, dass die Ministerien sich mit Interessenvertretern austauschen, jedoch sei die Beteiligung unausgewogen. Lobbyisten seien meist früher und besser informiert als Abgeordnete. Im „Cum/Ex“-Skandal, der dem Staat rund zehn Milliarden Verlust einbrachte, hätten die Lobbyisten die Gesetze selbst geschrieben. LobbyControl fordert eine „legislative Fußspur“, also Transparenz darüber, wer die Gesetzesidee auf den Weg brachte und welche Personen mit jeweiligem Anteil am Prozess beteiligt waren.

Parteienfinanzierung: Bisher gibt es keine private Obergrenze für Spenden. Erst ab 10.000 Euro jährlich müssen die Parteien die Summe in ihrem Rechenschaftsbericht veröffentlichen. Einzelspenden müssen erst ab 50.000 Euro allgemein zugänglich gemacht werden. Wer also knapp unter der Grenze bleibt, kann diese Regelung umgehen. Auch müssen Parteien die Einnahmen vom Parteiensponsoring von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen nicht einzeln offen legen.

Transparenz gibt es auch im Wahlkampf nicht: So finanzierte der Verein zur „Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ mehrere Landtagswahlwerbungen in Millionenhöhe für die AfD. Timo Lange erwartet das auch bei der Bundestagswahl. LobbyControl will hier ein Kontrollgremium. Zuwendungen sollen ab 2.000 Euro in den Rechenschaftsberichten und Spenden ab 10.000 Euro unmittelbar mit Name und der genauen Summe angegeben werden. Gleiches fordert der Verein auch für Parteiensponsoring und Transparenz im Wahlkampf. Der Verkauf von Politikergesprächen sollte verboten sowie die maximale Spendensumme pro Spender, Partei und Jahr auf 50.000 Euro begrenzt werden.

Hier vergab LobbyControl gelb

Seitenwechsel: Ehemalige Politiker sind gefragte Lobbyisten, da sie Insiderwissen und exklusive Zugänge zu Institutionen bieten. Das neu verabschiedete Gesetz besagt eine Karenzzeit von zwölf Monaten, in besonderen Fällen 18 Monate. Die Karenzzeit ist jedoch eine Einzelfallentscheidung, diese wird von einem Gremium getroffen und veröffentlicht. Bei Verstößen gibt es keine Sanktionen Die Veröffentlichung sieht LobbyControl positiv.

Ein weiteres Problem seien politische Beamte, beispielsweise Staatssekretäre, die oft die Seiten wechseln. Zwar kann ihnen ein Seitenwechsel von ihrer Behörde verboten werden, die Kriterien und der Prozess dazu seien allerdings intransparent. LobbyControl fordert daher längere Karenzzeiten, verbindliche Sanktionen und bei politischen Beamten eine öffentliche Empfehlung mit einsehbarem Kriterienkatalog. Dies soll auch Angestellte in Ministerien betreffen, die bisher von keiner Regelung umfasst sind.

Nebentätigkeiten: Mittlerweile sind alle Nebeneinkünfte von Abgeordneten in einem zehnstufigen System erfasst. In der zehnten Stufe für Nebenverdiener ab 250.000 Euro tummeln sich sechs Unionspolitiker. Der Anteil der Zusatzverdiener liegt generell in der Union bei knapp 27 Prozent und bei der SPD bei etwa 16 Prozent.

Als Lösung sieht LobbyControl ein Verbot der bezahlten Lobbytätigkeit neben einem Mandat. Zudem soll eine Befangenheitsregel greifen, die Abgeordnete bei Interessenkonflikten von gewissen Prozessen fernhält. Jeder Abgeordnete müsste sein Vermögen und seine Nebeneinkünfte genau offen legen, eine Kontrollinstanz soll ein Auge darauf haben.

Abgeordnetenkorruption: Die Abgeordneten haben durch den Artikel 38 des Grundgesetzes, nach diesem sie nur ihrem Gewissen unterworfen sind, viele Freiheiten. Die SPD legte ein neues Konzept vor. Demnach macht sich strafbar, wer „einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder seinen Dritten als Gegenleistung“ für Handlungen in Verbindung mit seinem Mandat fordert oder annimmt.

Problem: Der Tatbestand sei schwierig nachzuweisen. „Turmhohe Strafbarkeitsschwellen und geradezu planmäßig wirkende Beweisschwierigkeiten“, schreibt Ex-Bundesrichter Thomas Fischer im Bericht. LobbyControl möchte demnach eine Umformulierung, so dass Korruption bei Abgeordneten leichter nachzuweisen ist.

Es gibt viel zu tun

„Das Pflichtenheft der neuen Regierung ist gut gefüllt“, resümiert Lange. Nicht nur LobbyControl sondern auch viele Lobbyisten finden verbindliche Regeln für alle ansprechend. Jedoch sei dies unter einer schwarz-gelben Regierung nicht zu erwarten. „Die Ministerien sollen sich nicht wie Schutzpatrone vor Unternehmen stellen, so wie es Verkehrsminister Dobrindt mit der Autoindustrie getan hat“, fordert Lange.

Angela Merkel ernannte Anfang April als Bundestagswahlkampfmanager Joachim Koschnicke. Davor war dieser in der freien Wirtschaft tätig, wechselte dann zur CDU und danach zu Opel. Laut LobbyControl war er im „Dieselgate“-Skandal verwickelt.

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