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Lob der Faulheit

Bürgerschaft tagt statt 29mal nur noch 25mal im Jahr 2000. Ist das etwa kein Skandal?  ■ Von Peter Ahrens

Hamburgs faulster Lehrer, den kennen wir. Geistert seit Wochen durch die Zeitungen, manchmal als krankgeschriebener Golfspieler, manchmal als beleidigte Leberwurst. Der Mann ist abgefrühstückt. Das neue Thema für den Boulevard lautet: Hamburgs faulster Politiker. Schließlich hat die Bürgerschaft die Zahl ihrer Sitzungen von jetzt noch 29 auf 25 im Jahr 2000 gesenkt. Na, da ist doch ein Skandal in der Luft. Man kann ihn förmlich riechen. Oder etwa nicht?

Nasebohrende ParlamentarierInnen und Senatsleute, die gar nicht mehr wissen, wohin mit all ihrer gewonnenen Zeit. Die am Ende noch aus lauter Verzweiflung auf die Idee kommen, Dienstreisen nach – meinethalben – Litauen zu machen, um auf irgendeine Art die Zeit totzuschlagen, die sie nicht mehr im Parlament herumsitzen müssen. Fünf Sitzungen weniger – das sind doch Tage, man möchte sogar weitergehen und fast sagen, Stunden eingesparter Abgeordnetenlebenszeit. Wie viele kleine Anfragen könnte man zum Wohle der WählerIn in der Zeit stellen?

„Dass jetzt schon wieder in manchen Redaktionen gerechnet wird, wieviele Minuten die Abgeordneten dadurch weniger arbeiten, ist eine ganz nette Pointe, aber im Grunde doch ein total ausgelutschtes Ding“, sagt SPD-Fraktionssprecher Armin Huttenlocher. Und die CDU-Abgeordnete Antje Blumenthal, Mitglied im Fraktionsvorstand, ist sich sicher, „dass wir unsere Aufgabe schon ernst nehmen“.

Abgefeimt, abgefeimt, solche Ausflüchte. Da wird gar damit argumentiert, das sei Teil eines Gesamtkonzeptes, mit dem man die Bürgerschaftssitzungen interessanter machen wolle. Da wird damit gewuchert, man wolle zudem gar die Redezeit auf fünf Minuten beschränken und – jetzt kommts – frei reden, ohne Manuskript. Abgeordnete und frei reden, wo kommen wir denn da hin. Alles auf Kosten der SteuerzahlerInnen.

Fasst man also zusammen: Weniger Sitzungszeit, weniger Redezeit, weniger Zeit für persönliche Eitelkeiten und Selbstdarstellung, und wir sollen das wieder alles bezahlen.

Und überhaupt: Vieles in der Politik kann man doch in fünf Minuten Redezeit gar nicht darstellen. Darauf hat Huttenlocher die ultimative Antwort: „Parlamentsdebatten sind dazu da, Politik in der Öffentlichkeit darzustellen. Um Komplexes und Hintergründe darzustellen, gibt es ja insbesondere die taz.“ Wir haben verstanden.

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