Lizenzen für Fachliteratur gekauft: Freie Nutzung auf dem eigenen PC
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat Nutzungslizenzen für über 1.000 digitale Datensammlungen und Zeitungsarchive eingekauft. Einen Zugang kann jeder Bürger bekommen.
![](https://taz.de/picture/348496/14/buecher_04.jpg)
Da sitzt eine junge Frau in Münster an einer Dissertation über die US-Sicherheitspolitik nach 1945. Sie kommt zu dem Schluss, ein mehrmonatiger Forschungsaufenthalt in nordamerikanischen Bibliotheken und Archiven sei dafür unvermeidlich, und sieht sich nach einer Finanzierungsquelle um.
Weil das Ganze aber im Jahre 2005 spielt, eröffnet sich ihr von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit, völlig unentgeltlich am heimischen PC im "Digital National Security Archive" der USA zu recherchieren. Es handelt sich dabei um eine Internet-Datenbank mit mehr als 50.000 für die Öffentlichkeit freigegebenen Dokumenten, Direktiven der US-Präsidenten, Memos, Sitzungsnotizen, Mitteilungen aus dem Weißen Haus sowie CIA-Unterlagen.
Die ambitionierte Nachwuchswissenschaftlerin spart nicht nur Kosten und Zeit für die Reise, sie kann nun per Mausklick auch viel schneller arbeiten. Das Digital National Security Archive war eine von 30 großen Text- und Werksammlungen, für welche die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2004/2005 die ersten sogenannten Nationallizenzen für elektronische Medien erwarb.
"Diese Wissenschaftlerin gibt es wirklich, ich habe mit ihr telefoniert", triumphiert Rembert Unterstell, als müsse er noch Zweifel an der Existenz des Wunders zerstreuen, das er öffentlich vertritt. Das Thema Nationallizenzen gehört mit zu seinem Zuständigkeitsbereich als Referent für Pressearbeit bei der DFG in Bonn.
Nichts weniger als für die deutsche Wissenschaft den Sprung ins digitale Zeitalter ermöglichen soll das Sonderprogramm "Digitale Information" der DFG. Förderung von Nationallizenzen ist ein wichtiger Teil davon. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Forschungsvorhaben umso besser gedeihen und umso mehr von internationaler Kooperation profitieren, je leichter die Forschenden Zugang zu sicheren Informationen aus aller Welt gewinnen. Auch wird auf diese Weise mehr Chancengleichheit in der Wissenschaft hergestellt.
Die etwas sperrige Bezeichnung "Nationallizenzen" weist nur darauf hin, dass diese Rechte für den gesamten Bereich der Bundesrepublik erworben wurden. Von den Initiatoren erwünscht ist zwar die Nutzung mittels großer Bibliotheken, Universitäten oder Forschungseinrichtungen. Aber die meisten erworbenen Datensammlungen sind mit einem leicht zu bekommenden Password jedem PC-Besitzer mit ständigem Wohnsitz in Deutschland zugänglich.
Im Zuge einer leisen Revolution hat die DFG bis heute 1.010 Datenbanken, große Textsammlungen und Zeitschriftenarchive freigeschaltet. Sie stammen aus Natur- und Geisteswissenschaften, Bio- und Ingenieurwissenschaften und kommen damit Forschern und Forscherinnen aller Disziplinen zugute.
Nicht nur nackte Informationen bietet das Programm, auch für das Auge ist vieles dabei: Mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln oder die Gemälde kommen als sogenannte Images auf den heimischen Schreibtisch. Entscheidend für die Anschaffung ist die aufgrund von Expertisen eingeschätzte Relevanz einer elektronischen Datensammlung als wissenschaftliche Quelle.
Zu den größten Datenbanken des Programms gehört eine der neuesten Erwerbungen, die Kollektion der "British Library Newspapers" (17. bis 19. Jahrhundert) mit ihren 3,2 Millionen Onlineseiten. Vergleichsweise klein als Datensammlung, aber bisher sehr exklusiv sind die an Universitäten und Forschungseinrichtungen online einsehbaren "Testaments to the Holocaust" aus der Wiener Library in London, dem ältesten Holocaust-Museum der Welt. Damit werden persönliche Zeugnisse und Bilder zum jüdischen Leben in Deutschland unter dem NS-Regime, in den Konzentrationslagern, im Untergrund und Exil allgemein zugänglich.
Natürlich hat so viel geballtes Wissen seinen Preis. Wie hoch der in jedem Einzelfall gewesen ist, darüber schweigt sich der DFG-Pressesprecher aus: "Alles langwierige Verhandlungssache". Nur die Kosten per Jahr sind bekannt. 2006 zum Beispiel betrug die für alle Ankäufe bereitgestellte Gesamtsumme 21,5 Millionen Euro.
Zu den teuersten Anschaffungen dürfte die 2007 erworbene Nationallizenz für das Archiv der Zeitschrift Nature für 1869 bis 2007 gehört haben. Für solche nicht geschlossenen Archive muss die DFG auch in Zukunft weiter zahlen, wenn sie die neuen Jahrgänge erwerben möchte.
In deutschen Forschungseinrichtungen stößt das Programm selten auf Vorbehalte. Die Dateien werden schließlich von der DFG bezahlt. Außerdem leben Wissenschaftler in der Regel nicht von Publikationen, sondern von Steuergeldern. Einige deutsche Universitäten ermuntern ihre Mitarbeiter sogar, ihre Schriften auf die Homepage der Alma Mater zu stellen. Die nationallizenzierten Informations- und Rechercheangebote werden intensiv und gern genutzt.
In keinem anderen Land Europas gibt es Vergleichbares. Doch die Bundesrepublik hat die Nationallizenzen auch besonders nötig. Dank des Föderalismus sind bei uns die Aufgaben im Bereich der überregionalen Literaturversorgung stark verstreut. So zentral sammelnde Institutionen wie die Library of Congress in Washington oder die British Library in London existieren hierzulande nicht.
Ein Körnchen versalzt auch diese Suppe: das Problem der Langzeitarchivierung von elektronischen Daten hat noch keine Institution der Welt abschließend gelöst. Alles muss periodisch auf neue Datenträger gespeichert werden. Fachleute nennen das "Migration von Digitalisaten".
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