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Live-Dolmetscher bei „Anne Will“Herzrasen, Körperhaar, Syntax!

Den türkischen Sportminister übersetzen und zugleich das Vertrauen des Publikums gewinnen? Gedanken aus der Dolmetscherkabine.

Kein beneidenswerter Job: Live-Dolmetscher zum Thema deutsch-türkische Beziehungen Foto: dpa

Berlin taz | Eigentlich war es nicht mein erstes Mal. Einmal im Berliner Abgeordnetenhaus gab es jemanden, der mir bei der Verdolmetschung eines türkischen Gastes regelmäßig Synonyme zurief, die er an meiner statt benutzt hätte.

Der Auftritt des Sportministers Akif Kılıç bei Anne Will war insofern für mich nur eine weitere Krise, die sich gut in dem CV macht. 24 Stunden Herzrasen, blisterweise B 12 und die halbe Stunde Ruhe vor der Sendung, über die es hieß, der Minister wünsche zwar keine Verdolmetschung ins Türkische, da er selbst als Dolmetscher Erdoğans tätig sei, werde aber im Programm aus protokollarischen Gründen Türkisch sprechen. Der Inhalt der Sendung wurde weidlich besprochen. Anne Will stellt ihren türkischen Gast vor.

Und es muss vorab gesagt werden, dass sie während der Probe den herausfordernden Namen makellos ausgesprochen hat. Später in der Sendung werden wir hören, wie sie den Versuchen Altmaiers, einen Herrn Giusélle oder Jützel ins Gespräch zu bringen, ihr felsenfestes Yücel entgegenhält. Bei der Vorstellung des türkischen Gastes aber muss sie kurz kämpfen, und so vorbildlich der Murmelvokal gelingt, es wird ein Herr Kıl daraus.

Kılıç heißt Schwert. Kıl heißt eher so Körperhaar. Und kıl adam ist ein unangenehmer Typ. Ich wünsche mir eine Talkshow, in der Derrida und Spivak über die Bedeutung dieser hintüber gefallenen Silbe diskutieren. Ich würde sie sogar verdolmetschen. Jetzt aber bin ich live, der rote Knopf leuchtet.

Kontrolle ist gut. Besser: atmen

Floskeln. Man beginnt mit Selbstverständlichkeiten. Schafft Common Ground. Deutsch-türkische Beziehungen. Eine versöhnliche, sanfte Stimme? Zu nah am Mikro. Mindestens mein erster Halbsatz klingt arg nach Schlafzimmer. Etwas weiter weg? Die Tonregie dreht auf, da hört man auch die Pressatmung. Das Fernsehpublikum hat Anspruch auf eine Stimme, die ihr Vertrauen erweckt in diesen Zeiten. Vertrauen ist gut. Besser: Kontrolle.

Minister Kılıç denkt ebenso. Nach jedem Satzbaustein macht er eine Kunstpause und horcht dem Verdolmetschten nach. Nickt sanft ab, was ich gesagt habe, damit alle, die im Regierungsstab und an den Fernsehbildschirmen mithören, quasi simultan, gestisch, rückverdolmetscht bekommen, dass alles stimmt und die Öffentlich-Rechtlichen niemanden genommen haben, der das Gesagte verzerrt.

Einmal korrigiert er mich im laufenden Satz. Fügt ein Adjektiv ein. Kontrolle ist sehr gut. Besser: atmen.

Er horcht dem Verdolmetschten nach und nickt ab, dass alles stimmt. Dass die Öffentlich-Rechtlichen niemanden genommen haben, der ihn verzerrt

Wer zweisprachig ist, weiß, dass das so nicht funktionieren kann. Die (rechtsläufige) Syntax des Deutschen und die (linksläufige) Syntax des Türkischen sind so grundverschieden, dass Sie erstens für einen geraden deutschen Satz zu Beginn die Informationen brauchen, die Sie im Türkischen gegen Ende bekommen, und die ersten fünf bis zehn türkischen Satzbausteine im Kopf irgendwo ablegen müssen, um sie dann gegen Ende des deutschen Satzes geschickt irgendwo einzubauen.

Zweitens brauchen Sie einen ganzen Satz, um die einzelnen Morpheme überhaupt richtig deuten zu können. Ganz zu schweigen vom Kontext. Wenn jetzt aber Ihr Gast in einer Livesendung sagt: „Kontinuierlich. In Türkei. In Deutschland. Schauen Sie. Gerade gesagt. Mehr als 3 Millionen türkeistämmige Menschen. In Deutschland. Und in Deutschland. Gegen die Türkei. Kontinuierlich. Geschrieben. Kontinuierlich. Gelesen.“

Wenn das geschieht, und ich weiß, dass ich hier die Rhetorik einer Kafka-Erzählung bemühe, dann mag sich das für ein türkischsprachiges Publikum zu einem intelligiblen Aussagesatz zusammenfügen, sobald er vollendet ist. Je länger aber die Kunstpausen zwischen den Punkten werden, umso steter wächst die Gefahr, dass der Satz in der Verdolmetschung abstürzt wie ein Erasmusstudent nach drei Tagen Berghain.

„Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“, textete Hölderlin. Das stimmt vielleicht nicht fürs Berghain, aber in der Live-Situation wirken die ausgeschütteten Botenstoffe so knallig, dass die Zeit sich dehnt und die Syntax sich fügt.

Mit viel Verbiegen, was ja auch dem Thema sehr angemessen war.

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6 Kommentare

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  • Aber das mit dem Herrn Schwert vs. Körperhaar - hat doch was.

    • @Artur Möff:

      Na die Bibel strotzt doch vor Übersetzungsfehlern -

      "Jesus ging am Wasser entlang!"

      "Maria war eine junge Frau!"

      usw usf - Gibraltar ..,....

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Sehr, sehr schön ge- und beschrieben!

    Musste laut lachen, danke!!

    Wunderbar!

  • http://www.taz.de/!5391285/#bb_message_3466842

    Gion hat die Frage gestellt, warum kein Deutsch-Muttersprachler mal dran gedacht hat, Türkisch zu lernen. Hm, dank der Ausführungen von Oliver Kontny erklärt sich das von selber... Schöner Artikel, wär lustig als sich wiederholende Kolumne!

    • @Hugo:

      Naja - so ein paar schwarze Schafe gibt es doch - wenn frauman mal so unter türkischem Recht googeln will.

      Dieser konstruktive Gegensatz ist hier fein beschrieben. Zum Gegensatz zum Englischen hat Harry Rowohlt einst die deutsche Sprache mal derart charakterisiert. "Du hörst das erste Wort - dann kannste beruhigt 'n Bier zischen gehen & wennde wieder reinkommst - fällt grad das Verb & zwischendrin ist eigentlich nichts passiert!"

      Wg s.o. ist der Ablauf auch für den Zuhörer erst gewöhnungsbefürftig!

      Die unterschiedliche Bedeutungsbreite

      Tut ein übriges. "Dann bin ich mit dem Taxi von Wien bis Stuttgart gefahren!"

      Upss? Taxi=Auto. Klar.

      Andereseits habe ich zu meiner Verblüffung einen Dolmetscher erlebt -

      Der fast zeitgleich parallel simultan übersetzte! Er war noch zudem Kurde. Wie das ging? Kas Ahnung nicht.

      Auf Frage hat er nur geschmunzelt.

      Beanstandungen durch Dritte gab es nie! Ein Phänomen!

  • Chapeau. Danke für die meisterliche Beschreibung.