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Literaturwissenschaftlerin über die WahlNeuer Höhepunkt des „Merkelismus“

Der AfD müssen Grenzen aufgezeigt werden – und Jamaika kann eine Chance sein, sagt Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler.

Jamaika als Chance für die Demokratie? Wahlparty der Grünen zur Bundestagswahl 2017 Foto: Piero Chiussi
Volkan Ağar
Interview von Volkan Ağar

taz: Was bedeutet das Ergebnis der Bundestagswahl für die Idee einer offenen Gesellschaft?

Marina Münkler: Das Ergebnis bedeutet, dass die offene Gesellschaft entschiedener verteidigt werden muss, als das bislang der Fall gewesen ist. Es wird sicher auch noch einmal genauer diskutiert werden müssen, was offene Gesellschaft bedeutet und welche Vorteile auch und gerade in ökonomischer Hinsicht sie hat. Geschlossene Gesellschaften sind Einschränkungs- und Verarmungsprojekte.

Sorge macht mir das Ergebnis im Hinblick auf diejenigen unserer Mitbürger, deren Integration gut gelungen ist oder die sich als Neuankömmlinge im Prozess der Integration befinden. Für sie ist der Angriff auf die offene Gesellschaft sicherlich ein schlechtes Zeichen. Da müssen wir unbedingt gegenhalten und das Projekt der Integration entschieden vertreten.

Die einzige derzeit mögliche Koalition ist eine sogenannte Jamaika-Koalition (CDU, FDP, Grüne). Was bedeutet diese Konstellation politisch für die Bundesrepublik?

Die Konstellation ist schwierig, aber im Prinzip eine Chance. Dass die SPD sich entschlossen hat – wenn man davon ausgeht, dass es dabei bleibt –, in die Opposition zu gehen, halte ich für aller Ehren wert, schon allein deshalb, weil sonst der AfD die Rolle der Oppositionsführerin zufallen würde.

Bild: privat
Im Interview: 

Marina Münkler, Jahrgang 1960, ist Professorin für Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie forscht zum Begriff des Fremden und zum Phänomen der Interkulturalität. 2000 erschien ihr Buch "Erfahrung des Fremden", 2016 veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrem Mann Herfried Münkler "Die neuen Deutschen". Münkler lebt in Dresden an der Frauenkirche und somit in Blickweite der Pegida-Aufmärsche.

Schwarz, Gelb und Grün trennt vieles, zumal CDU und insbesondere CSU jetzt vermutlich stärker darauf setzen werden, weitere Zuwanderung zu verhindern. Wenn es aber gelingt, mit Gelb und Grün eine kluge Einwanderungspolitik zu vereinbaren und insbesondere die Integration der Eingewanderten entschieden zu stärken – das ist ein Feld, auf dem noch sehr viel zu tun ist – dann könnte diese Konstellation für die Bundesrepublik eine sinnvolle Zukunftspolitik ermöglichen.

Stellt die AfD tatsächlich eine Bedrohung für die demokratische Ordnung der Bundesrepublik dar?

Es gibt aus meiner Sicht wenig Zweifel, dass die AfD die demokratische und insbesondere die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik erheblich einschränken, wenn nicht gar zerstören will. Das heißt aber noch nicht, dass sie tatsächlich eine Bedrohung der demokratischen Ordnung ist. Es ist wichtig hier zu differenzieren, um den Allmachtsphantasien der AfD nicht auf den Leim zu gehen.

Wie ist aus demokratischer Perspektive mit der AfD umzugehen?

Einerseits muss man den Zusammenhang von Demokratie und Rechtsstaat deutlich machen und erklären, wo die Grenzen zwischen politischer Auseinandersetzung und Volksverhetzung liegen.

Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass es nicht reicht, der AfD ihre neonazistischen und rassistischen Äußerungen vorzuhalten, die sie sicherlich nicht einstellen wird. Wie wenig das hilft, konnte und kann man an Trump beobachten. Wichtig ist, dass man im Bundestag zeigt, dass die AfD außer dem Schüren von Hass kein Konzept hat und im demokratischen Sinne des Streits um bessere Lösungen überhaupt nicht politikfähig ist.

Sie leben und arbeiten in Dresden. Wie nehmen Sie die Stimmung nach der Bundestagswahl in Sachsen wahr, wo die AfD stärkste Kraft geworden ist?

Die Stimmung in Sachsen, insbesondere in Dresden, war schon vor der Bundestagswahl merklich durch Pegida und AfD beeinflusst. Der Erfolg der AfD in Sachsen macht meines Erachtens sehr deutlich, dass man Prozessen der Aufwiegelung, der Stimmungsmache und der Volksverhetzung nicht mehr oder weniger tatenlos zusehen darf, sondern entschieden gegenhalten muss.

Das Verständnis für die sogenannten „Sorgen“ der Bürger hat nicht dazu beigetragen, die AfD zu schwächen, sondern eher das Gegenteil erreicht. Andererseits haben linksradikale Positionen auch nicht dabei geholfen, ein breites Bürgerbündnis gegen rechts zustande zu bringen.

Manche sprechen vom Ende des „Merkelismus“. Was sagen Sie dazu?

Ich halte den Begriff nicht für sonderlich tragfähig. Zunächst ist unklar, was damit überhaupt gemeint sein soll. Zu viel abwarten? Zu viel Kompromissbildung? Zu wenig oder zu viel Entscheidungsfreude? Zu viel Mitte, zu wenig Konservatismus?

Wenn „Merkelismus“ heißen soll, dass Politik wesentlich auf die Moderation von Kompromissen hinausläuft, dann könnte die Jamikakoalition ein neuer Höhepunkt des „Merkelismus“ werden – im durchaus positiven Sinne. Wenn es denn gelingt.

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