Literatur: Frei im Freundeskreis
Der kleine Hamburger Independent Verlag Minimal Trash Art wurde vor 15 Jahren von Leuten gegründet, die ihre Bücher und Tonträger unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen veröffentlichen wollten.
HAMBURG taz | MTA – drei Initialen, die vieles abkürzen können. Den Verkehrsbetrieb des Staates New York zum Beispiel oder Berufsbezeichnungen im medizinisch-technischen Bereich. MTA steht aber auch für einen kleinen Independent Verlag, für vier Menschen um die 40 und für eine Altbauwohnung in Hamburg-St. Georg mit Holzdielen, Flohmarktmöbeln, schwedischen Pressspan-Regalen und einem abgesackten alten Küchenboden.
Auch wenn Minimal Trash Art keine medizinische Lehr-Literatur veröffentlicht, so beginnt die Geschichte dieses Verlags dennoch im Universitätsklinikum Eppendorf, wo sich die damaligen Krankenpfleger Jan Billhardt, Marc Frese und Melanie Reiling in den 1990ern kennenlernten. Jeder von ihnen suchte eine Art Gegenpol zum harten Krankenhausalltag. „Wir steckten voller Ideen und waren unheimlich erpicht darauf, etwas zu tun. Nicht, um berühmt zu werden. Es entstand einfach so viel, Geschriebenes und Musik. Das sollte nicht in der Schublade landen“, sagt Melanie Reiling. Sie schrieb und Jan Billhardt und Marc Frese machten elektronische Musik mit Waldhorn und Akkordeon-Einlagen.
1998 gründeten die drei dann Minimal Trash Art, die Verlagsbesprechungen fanden zumeist in Kneipen statt. Am Anfang ging es vor allem um Kurzgeschichten. Der gemeinsame Freundeskreis saß zusammen und las sich gegenseitig selbst geschriebene Texte vor, um dann zu entscheiden, welche es in die veröffentlichten Anthologien schaffen sollten. Während Reiling, Billhardt und Frese in den ersten Jahren auch Musikkassetten veröffentlichten, verschob sich der Schwerpunkt mit der Zeit mehr und mehr auf Bücher. 2003 veröffentlichte MTA mit „Jugendstil“ den viel beachteten Erstlings-Roman von Gerrit Jöns-Anders.
Danach sprach eine Freundin des Hauses den Hamburger Literaten und diesjährigen 3sat-Preisträger Benjamin Maack auf einer Lesung an. Sein 2004 im Minimal Trash Art Verlag erschienener Gedichtband „Du bist es nicht, Coca Cola ist es“ ist heute vergriffen. Eine Neu-Auflage lehnt Maack ab: Er findet es gut, ein vergriffenes Buch geschrieben zu haben. 2006 erhielt Minimal Trash Art von der Hamburger Kulturbehörde einen Verlagspreis.
Jan Billhardt und Melanie Reiling führen in besagter Altbauwohnung auch eine Internet-Agentur zum Geldverdienen. Zu ihren Kunden gehören kulturelle Einrichtungen, Ärzte und Bonbon-Fabriken. „Unsere Agentur mietet die Räume und der MTA stellt die Räume zu“, so Reiling. Marc Frese arbeitet hauptberuflich noch immer im Uniklinikum, als Qualitätsmanager. Jasmin Kickrehm, die mittlerweile die Buchcover und Flyer gestaltet, ist als freiberufliche Grafikerin und Webdesignerin tätig.
Gerrit Jöns-Anders: Kunststoff. Roman, 326 Seiten, mit Siebdruckcover, 17,90 Euro.
Benjamin Maack: Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland. Erzählungen, 120 Seiten, 10,90 Euro.
Ina Bruchlos: Der Kampf der Mähdrescher. Kurze Erzählungen, 112 Seiten, 9,90 Euro.
27 Seiten von Josef Voss gefunden und - versuchsweise - nummeriert von Jochen Möller, 27 Seiten, 11,90 Euro.
Gerrit Jöns-Anders: Jugendstil. Roman & Musik, 162 Seiten plus CD, 15,90 Euro.
Die Tatsache, dass die Betreiber in keinster Weise vom Verlagsgeschäft leben können, bietet einige Freiheiten: Die Texte dürfen unkonventionell sein, es fasziniert Literatur, die aus der Reihe fällt. „In einigen Büchern stehen Sätze, die würden sicherlich viele Lektorate nicht überleben. Aber genau diese Sätze haben einen eigenen Charakter, und das macht es aus. Wer die Bücher nicht mag, muss sie nicht lesen“, sagt Reiling.
Gemeint sind damit Passagen wie folgende aus dem Erzählband „Der Kampf der Mähdrescher“ von Ina Bruchlos: „Einer meiner Kunstprofs wirkte jung, viel jünger, als er aussah, sah aber auch älter aus, als er war, wirkte so gesehen so jung, wie er auch wirklich war, vielleicht ein bisschen jünger, aber so alt, wie er aussah, war er einfach nicht.“
Vertrieben werden die Bücher im Onlineshop des Verlags, auf Lesungen sowie über einschlägige Hamburger Buchhandlungen. Grossisten listen die Bücher. Ebenso ist eine Lieferung durch ein großes Online-Versandhaus möglich. „Der Freundeskreis wird natürlich angehalten, Bücher zu kaufen“, sagt Billhardt.
Während große Verlagshäuser Wert auf Corporate Design legen, befindet sich auf dem alten Holztisch in St. Georg eine heterogene Ansammlung der letzten 15 Jahren: Bücher, Pappschachteln und Kassetten, Romane, Anthologien und Erzählungen, Siebdruck, Foto-Cover und ein Musik-Cover aus hellem Tuch. Die Verlags-Auflagen bewegen sich zwischen 500 und 2.000 Exemplaren, veröffentlicht werden ein oder zwei Bücher im Jahr. Es sind Bücher, „die alle Beteiligten toll finden“.
Eine Pappschachtel mit 27 losen Blättern ist wohl eine der Besonderheiten im Verlagsprogramm, und das im doppelten Sinn. Es handelt sich um 27 lose Seiten, gefunden von in einem alten Flohmarkt-Schrank. Auf diesen 27 Seiten berichtet ein gewisser Josef Voss von seinem Leben, dem Leben eines alleinstehenden Angestellten in den 1970ern. Voss ist ein unbekannter fränkischer Angestellter und schreibt über sein unbekanntes fränkisches Leben, und zwar mit einer mechanischen Schreibmaschine und einem immer schwächer werdenden Farbband. Zwischendurch versucht er ein paar ungelenke Schreibübungen. 2004 verlegte MTA diese Seiten genau so: lose, mit schwachem Farbband und ungelenken Schreibübungen.
Auch wenn Minimal Trash Art noch nie einen großen Gewinn erwirtschaftet hat, die Druckkosten sollten schon gedeckt sein. So passt auch der im November veröffentlichte zweite Roman von Gerrit Jöns Anders „Kunststoff“ ins Verlagsbild. „Kunststoff“ thematisiert die ständige Reibung der Kunst am Kommerz und ist in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienen – das kostspielige Siebdruckcover ließ keine höhere Auflage zu.
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