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Literatur und UnterdrückungDiktatur, wie geht das?

Die Literaturnobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch sprachen miteinander über bittere Erfahrungen in Rumänien und Belarus.

Swetlana Alexijewitsch (links) und Herta Müller im Gespräch Foto: Youtube/Maxim Gorki Theater/Screenshot taz

Mit den beiden Literaturnobelpreisträgerinnen Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller gehörte die Bühne des Berliner Gorki-Theaters am Donnerstagabend zwei ganz Großen der schreibenden Zunft. Ein Gedankenaustausch zu dem Thema Re:­wri­ting the Future lautete der Arbeitsauftrag. Diese Formel beschreibt den Versuch, Rückschau und Erinnerung für die Gestaltung einer anderen, besseren Zukunft fruchtbar zu machen.

Die Diskussion fand im Rahmen des viertägigen digitalen Festivals über Kunstfreiheit, kulturelle Resilienz und internationale Solidarität statt, das die Allianz Kulturstiftung derzeit in Berlin veranstaltet. Gerade Solidarität gewinnt zunehmend an Bedeutung angesichts wachsender autoritärer Tendenzen weltweit, die die offene Gesellschaft, ja die Demokratie in Gänze bedrohen.

Die Belarussin Swetlana Alexijewitsch und die Rumäniendeutsche Herta Müller trennt genauso so viel, wie sie auch verbindet. Geboren in einer Diktatur und aufgewachsen mit einer Generation von Großeltern und Eltern, die, traumatisiert von den Schrecken des Krieges, die Vergangenheit schamhaft beschweigt.

Alexijewitsch vertieft sich schon früh in die russische Literatur, erzählt sie. Doch zur eigentlichen Inspirationsquelle werden die alltäglichen Geschichten ganz normaler Menschen, die sich, auf der Suche nach Antworten auf die existentiellen Fragen des Lebens, ihrer eigenen Erfahrungen bedienen und diese in Sprache kleiden. „Die Realität war stärker als Dostojewski“, sagt Alexijewitsch am Donnerstag.

Genau diese Realität ist es, die die 72-Jährige zu ihrem Werk, ihren Romanen aus Stimmen, verdichtet und damit einen einzigartigen Einblick in die Welt des Homos sowjeticus ermöglicht.

Schmerzhafter Befund

Auch Herta Müller hungert nach Literatur, die sie jedoch selbst nie schreiben wollte. Doch angesichts eines unstillbaren Leidens an den äußeren Umständen wird das Schreiben zu einer inneren Notwendigkeit und zu einem Mittel der eigenen Selbstvergewisserung.

1987 reist Herta Müller nach Deutschland aus. Sie habe die Diktatur verlassen, aber die Diktatur habe sie nicht verlassen, lautet ihr schmerzhafter Befund. Da ist schon klar, dass der lange Arm des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes Securitate bis nach Deutschland reicht und auch dort die Verleumdungs- und Schmutzkampagnen gegen Müller weitergehen.

„Diktatur, wie geht das“, fragt Müller, lenkt den Blick nach Belarus und ist plötzlich in der Gegenwart angekommen. „Ein ganzes Land stehlen, den Menschen ihre Leben stehlen?“ Das zu sehen mache sie verrückt. Dieses Satzes hätte es gar nicht bedurft. Zu offensichtlich sind die Emotionen, die in diesem Moment aus der Schriftstellerin mit aller Macht heraus brechen.

Stalinismus, Denunziantentum

Wie Diktatur geht, weiß Alexijewitsch nur zu gut. Seit Monaten gehen die Menschen in Belarus gegen Machthaber Alexander Lukaschenko auf die Straße. Der Brutalität des Regimes, den Alexijewitsch als „Genozid am eigenen Volk“ bezeichnet, hätten die Be­la­rus­s*in­nen versucht, Friedfertigkeit und Schönheit entgegenzusetzen.

Doch der Versuch, die Menschen gegen den übermächtigen Feind zu einen, sei gescheitert. Schon längst griffen wieder die Mechanismen des Stalinismus. Denunziantentum, das sich aus Angst speise, greife wieder um sich. „Die Zeit der Romantik ist der Zeit des Realismus gewichen“, sagt Alexijewitsch.

Was vermag da Kunst beziehungsweise Literatur? Sie könne die Welt nicht verändern. Aber sie könne das Humane erhalten, die Menschen erhöhen und sie der Banalität des Alltags entreißen.

Literatur, das heiße trösten, nicht täuschen, sagt Herta Müller. In Zeiten wie diesen ist das schon viel.

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