Literatur und Spanferkel: Große Namen in engen Gassen
Segovia - eine der schönsten Städte Kastiliens - bietet bodenständige Küche, Tradition, geschichtsträchtige Bauten und seit drei Jahren das Literaturfestival Hay. Ein hochkarätiges Programm belebt die alten Paläste von Segovia standesgemäß
"Ich war Schauspieler und im Showbusiness tätig. Das war mir zu wenig ernsthaft", sagt Peter Florence, der Initiator des Hay-Festivals in Segovia. Das Vorbild des Hay-Festivals in Segovia entstand vor 20 Jahren in der walisischen Bücherstadt Hay-on-Wye. Zusammen mit seinen Eltern entwickelte Peter Anspruchsvolleres: ein Literaturfestival. Um García Márquez zur Teilnahme zu bewegen, kamen ihm die Initiatoren entgegen: nämlich ins kolumbianische Cartagena. Große Autoren zu präsentieren ist für Peter Florence kein Problem: "Sie kommen, um andere Autoren zu treffen, um gut behandelt zu werden und um in Kontakt mit Lesern zu sein. Geld über Art Sponsorship zu bekommen, sei einfach, betont Peter. Sponsor des Hay-Festivals in Segovia sind unter anderem die Stiftung der spanischen Versicherungsgesellschaft Mapfre und der englische Guardian. Weitere Festivals sind in Beirut, in Havanna und im März 2009 wiederholt im spanischen Granada geplant.
Segovia - 90 Kilometer von Madrid entfernt - ist tiefstes Kastilien. Und es riecht nach Schwein. Denn rund um Segovia werden Spanferkel gezüchtet. Das Conchinillo segoviano, das kleine Schwein aus dem Backofen, ist eine Spezialität der Stadt. Glücklich lächelt es in Plastikform aus den Schaufenstern vieler Restaurants, als rufe es zärtlich: "Friss mich!" Überhaupt erfreut sich alles vom Schwein großer Beliebtheit in Kastilien-Léon: vom Griebenschmalz über Schinken bis zur Blutwurst in weißen Bohnen. Die typische Nachspeise, die Ponche segoviana aus Pudding, Ei und Marzipan, verfeinert den Eindruck, den diese derbe, bodenständige Küche hinterlässt. "Segovia ist eine der schönsten Städte Kastiliens", schwärmen betuchte Schlemmer, die übers Wochenende aus Madrid anreisen.
Die alte Stadt liegt auf einem Hügel zwischen den Flüssen Eresma und Clamores. Ihr historischer Stadtkern, die romanischen Kirchen und das 28 Meter hohe und 728 Meter lange antike römische Aquädukt aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. sind Weltkulturerbe. Das Aquädukt versorgte noch bis in die 1970er-Jahre die Stadt mit Wasser. Segovia ist eine traditionelle Stadt. Die Virgen de la Fuencisla beispielsweise, die Patronin der Stadt, wurde letzen Sonntag in Begleitung junger Kadetten von der Kathedrale zu ihrer Kapelle zurückgetragen. Die unheilvolle Verbindung von Kirche und Staatsmacht wie unter dem Generalissimus scheint hier auf merkwürdig rückständige Art immer noch lebendig. "Hier ist sie. Schweigsam", eröffnet der Bischof seine feierliche Ansprache am Platz vor dem großen Aquädukt. Auch der Mord der ETA an einem jungen Kadetten bleibt in seiner Ansprache nicht unerwähnt. Eine große Menge Zuschauer - alt und jung - folgt der Prozession.
Zur gleichen Zeit, während die Jungfrau von Fuencisla durch die Stadt getragen wird, erhält der Schriftsteller Mario Vargas Llosa den Publikumspreis des Hay-Festivals. Eines Literaturfestivals, das im dritten Jahr in Segovia stattfindet. In Kirchen wie der romanischen Kirche San Juan oder im Theater Juan Bravo finden Lesungen und Gespräche mit Autoren statt. Es geht vor allem um spanischsprachige Literatur. Zum Thema "68 und die Folgen" sprechen der Berliner Verleger Klaus Wagenbach ("Das Herz sitzt links") und der deutsche Schriftsteller Peter Schneider auf Einladung des Goethe-Instituts Madrid. Peter Scheider, der sich zunächst wundert, "wer diese unsägliche Erinnerungskultur erfunden hat", reflektiert dann doch über seine persönlichen Erfahrungen von 1968. John Lee Anderson, Autor einer Che-Guevara-Biografie, doziert über das Lateinamerika eines Hugo Chávez und eines Evo Morales. Der englische Historiker und Spanienspezialist Paul Preston spricht darüber, was sich zur Zeit des Mai 1968 an spanischen Unis und in der Gewerkschaftsbewegung tat. Juan Goytisolo liest aus seinem neuen Buch über das Exil. Ein hochkarätiges Publikum, das die alten Paläste von Segovia standesgemäß belebt.
Im Gebäude der mittelalterlichen Alhóndiga stellen der Maler und Illustrator Julian Gray Santos und der Fotograf Daniel Mordzinski ihren persönlichen Blick auf spanischsprachige Schriftsteller aus. Grau zeichnete 66 Porträts von Romanciers, Dichtern und Essayisten aus Spanien und Lateinamerika wie Antonio Machado, der in Segovia gelebt hat, oder García Márquez.
Segovia ist klein, überschaubar. Mit seinen verwinkelten Gassen und seiner römischen, arabischen und mittelalterlichen Epoche scheint es unendlich viele Geschichten zu verbergen. Auch die Geschichte Spaniens: Die im Jahr 80 v. Chr. gegründete Stadt war von 714 bis ins 11. Jahrhundert in maurischem Besitz. Die Mauren entwickelten eine rege Textilverarbeitung rund um den Rohstoff Wolle, die den Bewohnern Segovias auch nach der Vertreibung der Araber noch lange Wohlstand bescherte. Alfons VI. eroberte die Stadt 1085. Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert war sie Königsresidenz. 1474 wurde hier Isabella zur Königin von Kastilien ausgerufen. Unter den Reyes Católicos wurden ab 1481 die jüdischen Bewohner der Stadt in zwei Ghettos konzentriert. Heute findet man in der Judaria nördlich der Kathedrale noch fünf Synagogen.
Der Alcázar, die Burg der Stadt, ist eine märchenhafte Festung. Die schönste Ansicht hat man allerdings bei einem Spaziergang auf dem Paseo Cuesta de los Hoyes, der um die auf Fels gebaute Altstadt herumführt.
"Segovia liefert die perfekte Kulisse für ein Literaturfestival", sagt der Initiator des Festivals, der Waliser Peter Florence. Es hat die perfekte Größe und liegt nahe bei Madrid. Es fördert die Kommunikation." Literaten zum Anfassen oder zumindest zum Angucken: In der 55.000 Einwohner zählenden Stadt trifft man sich immer wieder. Zwangsläufig. In den Tapas-Bars rund um die Plaza Mayor. Oder spätabends an der Plaza San Martin, der Straße Isabel la Católica oder Infante Isabel. Moderne Literatur präsentiert sich hier in geschichtsträchtigen Gassen und Gebäuden neben alter Tradition. Die Stadtpatronin, die Jungfrau von Fuencisla, gibt sicherlich gern ihren Segen dazu. Auch wenn sie schweigt.
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