Literatur-Comicstrips aus Kanada: Underdogs der Weltgeschichte

Kate Beaton zeichnet in „Obacht! Lumpenpack“ Napoleon, Heinrich VIII. und „andere Massenmörder“ in derbsten Alltagssituationen.

Kate Beaton weiß: Hipster gab es schon vor Jahrhunderten. Bild: Kate Beaton/Zwerchfell

Spätestens seit der Zeichentrickserie „South Park“ weiß man auch in Europa, dass die US-Amerikaner sich gern über ihre kanadischen Nachbarn lustig machen. Oft werden diese als naive Hinterwäldler dargestellt – so man sie überhaupt beachtet. Das Thema scheint auch die kanadische Comickünstlerin Kate Beaton zu beschäftigen. Ihr jetzt auf Deutsch erschienener Band „Obacht! Lumpenpack“ enthält um die 200 humoristische Comic-Strips. Häufig sind sie von Geschichte und Literatur inspiriert, nicht wenige sind dem US-kanadischen Verhältnis gewidmet.

„Wenn man in Kanada lebt, kommt man nicht umhin, alles mitzubekommen, was in den USA passiert“, erklärt die 32-Jährige im Gespräch mit der taz. „Die USA sind allgegenwärtig, haben Kanada aber kaum auf den Schirm.“ Für die Lage ihrer Landsleute, die sich selbst „ziemlich in Ordnung finden, doch dabei scheinbar die Einzigen sind, die das bemerkt haben“, empfindet Kate Beaton viel Sympathie.

Aber ausgerechnet die benachbarten US-Amerikaner lieben Kate Beaton. Für ihre Comics wurde die Kanadierin mehrmals mit Harvey und Ignatz Award in Baltimore beziehungsweise San Francisco ausgezeichnet. Sie veröffentlicht Zeichnungen im Magazin The New Yorker, dem Olymp für Illustratoren. Ihre Figur des debilen Shetland-Ponys wurde vor zwei Jahren durch einen Gastauftritt in der populären US-Zeichentrickserie „Adventure Time“ geadelt.

Angefangen hat alles wie in vielen romantischen Komödien: an der Uni. Während des Studiums der Geschichte und der Anthropologie an der Mount Allison University, unweit ihres Geburtsortes Mabou am südöstlichsten Rand Kanadas, zeichnet Kate Beaton für die Studentenzeitung. Von FreundInnen ermutigt, bastelt sie sich als Autodidaktin kurz vor ihrem Abschluss 2007 die erste eigene Website. Heute hat diese nach Angaben ihres kanadischen Verlags bis zu 500.000 Besucher monatlich.

Der Großteil ihrer Leser seien US-Amerikaner, meint Beaton. Sie freut sich darüber: „Wenn du nur in Kanada bekannt bist, reicht das finanziell kaum, um über die Runden zu kommen.“ Kanada ist zwar von der Fläche her ungefähr so riesig wie die USA, hat aber weniger Einwohner als Deutschland. Nur dank der benachbarten Leser kann sich Beaton ein vernünftiges Einkommen sichern. „Und wenn die beim Lesen meiner Comics auch noch etwas über Kanada erfahren, mache ich gerne weiter!“ Während Beaton die Empfindlichkeiten ihrer Landsleute zeichnerisch gerne veräppelt, lernt man so nebenbei einiges über Kanadas Protagonisten aus Politik, Wissenschaft und Kunst.

Eine Bühne für Vergessene

Dabei wird nicht nur die eigene Geschichte unter die Lupe genommen, sonst wäre das ja langweilig. Auch internationale Persönlichkeiten, die trotz bedeutender Beiträge zur Weltgeschichte in Vergessenheit geraten sind oder zu Lebzeiten wenig Anerkennung genossen, bekommen bei Beaton eine Bühne. Man trifft in ihren Strips auf auffällig viele Frauen, wie beispielsweise die Biochemikerin Rosalind Franklin, die Kriegsheldin Laura Secord oder die Schriftstellerin Zelda Fitzgerald. Über das Prädikat „feministisch“ lächelt Kate Beaton wohlwollend: „Es ist nicht so, als würde ich jeden Morgen vor dem Spiegel stehen und sagen: Heute schlage ich das Patriarchat kaputt!“

Sobald man sich aber entscheide, ein paar Comics über weibliche Figuren herauszubringen, arbeite man zwangsläufig in einem feministischen Kontext. „Bei der Beschäftigung mit Geschichte begegnet man automatisch etlichen Frauen, deren Errungenschaften vergleichsweise still gehalten wurden.“

Beaton ist davon überzeugt, dass die heutigen Leser nichts mehr für die Beweihräucherung selbstsüchtiger Egoisten übrig haben und mittlerweile auch Bescheid wissen, wie lückenhaft Schulbücher sind. Genau diese Lücken mit Humor zu füllen und dabei „zu einer Art Gemeinschaft oder Bewegung zu gehören, die neu definieren möchte, was Geschichte heute bedeutet“, ist Beatons erklärtes Ziel.

Den Humor woanders herholen

Dabei stellt sie die Underdogs der Weltgeschichte gerne als besonders tough dar, während die altbekannten Gewinner oft wie gefühlsduselige Drama Queens daherkommen. „Wenn historische Figuren ein besonders hartes Leben hatten, fühlt es sich falsch an, sie wie Idioten dastehen zu lassen“, sagt sie. „Ich muss den Humor woanders herholen, und mein Trick ist eben, sie im Vergleich zu ihrer Umgebung als besonders kompetent darzustellen.“

Napoleon, Heinrich VIII. und „andere Massenmörder“ zeichnet sie hingegen oft in derbsten Alltagssituationen. Sie werden vermenschlicht, entmythisiert und die historischen Ereignisse auf ihren wesentlichen, häufig absurden Kern reduziert. Bevor Beaton sich allerdings traut, Hochstapler und Tyrannen beim Zähneputzen zu porträtieren, sollten deren Gräueltaten bereits weit genug in der Vergangenheit liegen. Sie möchte niemanden zu nahe treten, betont sie. Das täte sie „aus Respekt für die Opfer und deren Familien, nicht aus Angst“.

Auch den andauernden Twist zwischen dem anglophonen und dem frankophonen Kanada vermeidet sie in ihren Zeichnungen. „Hierzulande wird Québec als Kulturgemeinschaft nicht besonders ernst genommen und die Québecer können zu diesem Thema sehr empfindlich reagieren“, sagt sie. „Generell ist es einfach nicht mein Ding, gemeine Witze zu reißen und den Leuten dann zu sagen, sie sollten damit klarkommen.“

Natürlich hat die Nachricht über das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo auch Kanada erreicht. „Sofort wurden hier alle humoristischen Zeichner nach ihrer Meinung befragt“, so Beaton. „Dabei geht es in französischen Comics generell viel aggressiver und respektloser zu, das kann man mit uns nicht vergleichen.“ Wie vor den Kopf gestoßen habe sie sich gefühlt, als sie sich nach der Tragödie über eine Karikatur-Kultur äußern musste, die in Kanada eigentlich kaum vertretbar wäre. In diesem Punkt unterscheidet sich Beatons Heimat wenig von den USA.

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