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Litauen rüstet Kinder für den KriegDie Bundesdrohnenspiele sind abgesagt

Leon Holly
Kommentar von Leon Holly

Litauen will künftig Kinder an der Drohne schulen. Auch Deutschland bewegt sich in diese Richtung – Zeit, dass die Gesellschaft ihre Grenze zieht.

Bitte lasst die Kinder da raus! Foto: Donald Iain Smith/plainpicture

L itauen ruft bald einen neuen Wettbewerb aus: „Jugend drohnt“. Oder so ähnlich. Um die Wehrfähigkeit zu erhöhen, plant die Regierung in dem baltischen Land bald mehr als 22.000 Menschen im Bauen und Steuern von Drohnen ausbilden. Und zwar nicht nur Erwachsene, sondern auch 7.000 Kinder. Dafür sollen die Lehrstunden ab der 3. Klasse angepasst werden, sodass Kinder von der Grundschule bis zur Oberstufe lernen, wie man Drohnen entwirft, herstellt und fliegt, ganz altersgerecht anhand von Spielen, Experimenten mit 3-D-Druckern und eben landesweiten Wettbewerben.

Selbstverständlich müssen Militärs mehr in Drohnentechnik und die Ausbildung der Soldaten investieren. Spätestens mit dem Bergkarabach-Krieg 2020 und dem russischen Überfall auf die Ukraine weiß man, wie wichtig Drohnen für die moderne Kriegsführung geworden sind. Dass Litauen jetzt mehr als 3 Millionen Euro investiert, um Ausrüstung, Software und Steuersysteme zu beschaffen und Trainingszentren zu bauen, ist verständlich. Gerade die baltischen Staaten müssen annehmen, dass die Drohgebärden ihres russischen Nachbarn nicht nur rhetorisch gemeint sind.

Aber bitte, lasst die Kinder da raus. Wer sich der Armee anschließen, sich auf den Drohnenkrieg spezialisieren will, soll das tun – wenn er oder sie erwachsen ist. Immerhin: Während erwachsene Litauer ihre Ausbildung von der Schützenunion, einer paramilitärischen Einheit, erhalten sollen, übernimmt das für die Kiddies „nur“ die Lineša, eine Bildungseinrichtung, die der Regierung untersteht.

Ein besonderer Fokus soll dabei auch auf First-Person-View-Drohnen liegen, die per Virtual-Reality-Brille aus der Perspektive des Fluggeräts selbst gesteuert werden. Das ukrainische Militär setzt diese Technik aktuell für kleinere Kamikaze-Drohnen ein, die oft Fahrzeuge oder auch einzelne russische Soldaten ins Visier nehmen. Die Piloten steuern aus der Perspektive der Drohne, und werden damit selbst zur Waffe.

Psychische Belastungen

Wer sich überzeugen möchte, was das mit einem Soldaten macht, dem sei eine kurze Doku des Wall Street Journals empfohlen. Der Film begleitet einen ukrainischen Armeeangehörigen, der nahe der Frontlinie mithilfe von Drohnen russische Soldaten tötet. Die Übertragung bricht immer ab, kurz bevor man den Aufprall sehen kann, weil die Drohne schon zerstört wurde. Doch der Pilot kommt dem Todgeweihten nah genug, um die nackte Angst auf seinem Gesicht zu sehen.

Der Drohnenpilot in der Doku weiß, dass sein Dienst ihn psychisch zugrunde richtet. „Es ist eine Erfahrung, die dich unglaublich abhärtet“, sagt er. „Niemand sollte das erleben müssen.“ Der Pilot verrichtet seinen Dienst trotzdem, um sein Land vor der Invasion zu verteidigen. Eine nachvollziehbare und vielleicht sogar bewundernswerte Entscheidung. Aber eben eine, die nur ein Erwachsener treffen kann. Und man sollte sich keine Illusionen machen, dass man Kinder „unschuldig“ an die Drohnentechnik heranführen kann. Auch sie können sich mit ein paar Klicks brutale Videos aus dem Ukrainekrieg anschauen und die Verbindung zu ihrem eigenen Drohnenunterricht herstellen.

Möglicherweise bedeutet das litauische Programm gar einen Bruch der UN-Kinderrechtskonvention. So besagt Artikel 29, dass die Bildung von Kindern im Geiste des Friedens zu erfolgen habe. Im ersten Zusatzprotokoll, das Litauen unterzeichnet hat, wird ferner nicht nur die Einziehung, sondern auch die Ausbildung von unter 18-Jährigen für einen möglichen Kriegseinsatz problematisiert. Das UN-Kinderrechtskomitee hat 2011 etwa Mexiko dafür gerügt, dass die Armee bereits Jugendliche ab 16 Jahren als Signaltechniker schult.

Auch in Deutschland zeigt das Software-Update „Wehrtüchtigkeit“ in den Köpfen offenbar Wirkung. So sendete die „Tagesschau“ Ende Juni einen Beitrag zum „Tag der Bundeswehr“. Darin sieht man Kinder – kaum älter als zehn Jahre – in Panzer klettern und am Schießstand durch einen Gewehrlauf schauen. Ein Soldat zieht einem Jungen eine Tarnmütze auf. Was man sonst aus durchmilitarisierten Gesellschaften wie in Israel oder Russland kennt, ist mittlerweile wohl auch hier angekommen, und den Journalisten der „Tagesschau“ nicht mal einen kritisch-einordnenden Kommentar wert.

Wer A sagt muss auch B sagen

Aber wer hätte denn ahnen können, dass eine Wehrhaftmachung der Gesellschaft auch eine Militarisierung der Kindheit bedeutet? Eigentlich jeder. Wer A sagt, muss auch B sagen, so lautet die totalisierende, instrumentelle Logik der Herrschenden. Folgt man ihr, dann landet man eben bei (oder neben) Kindern im Schützengraben.

Die Gesellschaft muss sich hier einfach klar werden, wo ihre Grenze verläuft. Ja, wir müssen unser Bewusstsein für neue Bedrohungen anpassen und entsprechend nachrüsten. Ja, junge Erwachsene können sich irgendwann entscheiden, ob sie Militärdienst leisten wollen. Aber nein, die Armee umgarnt unsere Kinder bitte nicht in der Schule oder mit verklärenden Propagandavideos auf Youtube. Und ganz sicher bildet sie Kinder nicht zu den Kamikazepiloten von morgen aus. Die Bundesdrohnenspiele sind hiermit abgesagt.

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Leon Holly
Jahrgang 1996, studierte Politik und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Von 2023 bis 2024 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Kultur, und was ihn sonst so interessiert.
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