Linkspartei im Wandel: Viele Stimmen, aber kein Gesicht
Bei der Klausur der Linksfraktion bleibt die Spitzenfrage der boomenden Partei offen. Die Hälfte der Abgeordneten tritt angeblich 2026 nicht mehr an.

Stattdessen geht es um alternative Haushaltsstrategien, die Landesfinanzen (siehe taz.de) und damit die Zukunft Berlins. „Eine Vision für eine Stadt, die von unten wächst“, ist schon der erste Tagesordnungspunkt überschrieben. Die Sache ist bloß: Von den aktuell 20 Abgeordneten der Fraktion wird ein guter Teil diese Vision nicht mitgestalten können. Nur etwa die Hälfte werde bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 erneut antreten, schätzt Schulze gegenüber der taz die Lage ein.
Nicht nur der künftig freischaffende Lederer geht – Ex-Senator, Ex-Landesvorsitzender, drei Mal Spitzenkandidat und bisher 22 Jahre Abgeordneter. Er hatte wie seine Fraktions- und früheren Senatskollegen Elke Breitenbach und Sebastian Scheel 2024 die Linke verlassen, weil die sich aus seiner Sicht zu wenig gegen Antisemitismus stellte, blieb aber als nun Parteiloser Mitglied der Linksfraktion.
Auch die zentrale Figur des ersten Klausurtags wird nicht mehr antreten: Steffen Zillich, der 1991 mit 20 Jahren erstmals ins Abgeordnetenhaus kam und über Jahre das haushaltspolitische Gesicht der Fraktion war. Ebenfalls bei der Wahl 2026 nicht mehr antreten will Carsten Schatz, von 2020 bis 2024 Fraktionschef.
Künftig ein anderes Bild als im Saal „Reclam 2“
Die frühere Landesvorsitzende Katina Schubert lässt immerhin die Frage offen, ob sie nach 2026 weitermacht. „Mal sehen“, sagt sie der taz dazu. Fraktionschef Schulze selbst will hingegen wieder kandidieren. Seine Co-Chefin Anne Helm führt nach eigenen Angaben noch Gespräche über eine Kandidatur.
Dass die Fraktion nach der Wahl im September 2026 deutlich anders aussehen wird als nun im Saal „Reclam 2“ des Leipziger Tagungshotels, fügt sich ein in den generellen Wandel, den die Linke gerade erlebt. Gehörten dem Berliner Landesverband im Oktober noch 8.300 Mitglieder, so sind es inzwischen über 16.000.
In welche Richtung werden sie, wird die neu formierte Fraktion gehen? So offen ist diese Frage auch auf Bundesebene, dass Bodo Ramelow, inzwischen Vizepräsident des Bundestags, im Juni auf seiner Homepage fragte: „Bin ich dabei, die Partei zu verlassen – oder verlässt meine Partei gerade mich?“
Diese Fragen wären schon allein grundsätzlich interessant. Doch nach der jüngsten Umfrage hat das in Berlin Bedeutung weit über die Linke hinaus. Die Partei ist demzufolge derzeit stärkste Kraft im linken Lager und könnte eine Koalition mit Grünen und SPD anführen, die in der Umfrage deutlich hinter ihr liegen. „Ihr habt ja die Chance, im nächsten Jahr das Rote Rathaus wirklich rot zu machen“, beneidet sie in Leipzig der Chef der sächsischen Linken, die anders als die Berliner bislang noch nie (mit)regierte.
Lederer mahnt zu mehr Moderation und Ausgleich
Die Berliner Landeschefin Kerstin Wolter wendet sich im taz-Gespräch am Rande dagegen, ihre Partei schlicht in „Regierungslinke“ und erstarkende „Bewegungslinke“ einzuteilen. Aus ihrer Sicht gibt es im Landesverband kaum jemanden, der es ablehnt zu regieren.
Mehrere Redner argumentieren bei der Klausur, dass Umfragemehrheiten und Regieren-wollen allein nicht reichen. Sie fordern einen gewissen Realitätssinn – Zillich etwa warnt vor einem Weg, „der in der Umsetzung in sich zusammenbricht“. Aber er wird ja nicht mehr dabei sein, falls die Linke tatsächlich die Möglichkeit zu einer solchen Umsetzung bekäme. Wie eben auch Lederer sagt: Wer im Roten Rathaus regieren wolle, „der muss eine Moderations- und Ausgleichsleistung erbringen“. Er weiß, wovon er spricht: Als Vize-Regierungschef hatte Lederer bis 2023 auch dort ein Büro.
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