Linken-Politiker über Konjunkturpaket: „Dann wäre die GroKo bekloppt“
Mehrwertsteuer runter und dann wieder rauf? Fabio De Masi, Wirtschaftsexperte der Linken, warnt davor: Wenn senken, dann dauerhaft.
taz: Herr De Masi, 2006 hat die Linke die Erhöhung der Mehrwertsteuer gegeißelt, nun sind Sie gegen deren temporäre Absenkung. Wie passt das zusammen?
Fabio De Masi: Wir sind nicht gegen eine Senkung. Die SPD wollte einst 0 Prozent Erhöhung und die Union 2 Prozent und dann kamen 3 Prozent raus. Das war ein Griff ins Portemonnaie. Aber eine Erhöhung wird von Unternehmen immer stärker an Verbraucher weitergegeben als eine Senkung. Wenn man die Mehrwertsteuer nach einem halben Jahr wieder erhöht, dann zieht man eine dicke wirtschaftliche Bremsspur. Wenn man daher die Mehrwertsteuer senkt, dann dauerhaft.
Die Senkung soll ja jetzt kurzfristig den Konsum ankurbeln.
Ich bin skeptisch, ob sich Leute jetzt einen neuen Kühlschrank kaufen, die um ihren Job bangen. Um Unsicherheit zu überwinden, muss der Staat mehr investieren.
Die Deutsche Bahn hat schon angekündigt, sie würde die Senkung an die Verbraucher weitergeben.
geboren 1980, war Europawahl-Spitzenkandidat für das neu gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Bis 2021 saß der Volkswirt für die Linken im Bundestag, war deren Fraktionsvize sowie finanzpolitischer Sprecher.
Die Bahn ist ein Staatskonzern, die müssen das wegen der Regierung machen. Konzerne wie Amazon, die in der Coronakrise ihre Marktmacht ausbauen, werden das vielleicht einstecken.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass die Mehrwertsteuer im Januar 2021 wieder angehoben wird, also im Bundestagswahljahr?
Dann wäre die Große Koalition richtig bekloppt!
Die Mehrwertsteuersenkung kostet bis Ende des Jahres 20 Milliarden Euro. Hätte man dieses Geld besser an anderer Stelle ausgeben sollen?
Man hätte natürlich für das Geld auch gezielt Familien länger unterstützen oder Selbstständige besser finanzieren können. Und Pflegekräfte, für die man kürzlich noch geklatscht hat, gehen komplett leer aus. Das Problem bei steuerlichen Maßnahmen ist, sie helfen nur, wo es noch Umsätze gibt.
Es gibt doch im Konjunkturpaket 25 Milliarden Euro direkte Hilfen für Unternehmen. Ist das zu wenig?
Wir haben ein Problem bei Selbstständigen. Die Hilfen gelten nur für deren Betriebskosten. Und bei der Grundsicherung für Selbstständige hakt es in der Praxis.
Nun ist die deutsche Wirtschaft stark exportorientiert. Was bringt es, die Binnennachfrage anzukurbeln, wenn die Exporte im Ausland wegen der dortigen Wirtschaftskrisen wegbrechen?
Die fetten Jahre im Export sind vorbei. Wir können in Zeiten des Klimawandels, in Zeiten von Trump und Corona nicht wieder exportieren, bis der Arzt kommt.
Das Konjunkturpaket zielt doch vor allem auf Stärkung der Binnennachfrage, oder nicht?
Es gibt sinnvolle Maßnahmen im Konjunkturpaket – den Kinderbonus, Hilfen für Kommunen, den Verzicht auf Kaufprämien für Verbrennungsmotoren. Wir brauchen aber mehr und dauerhafte öffentliche Investitionen, um die Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen, keine Wunderkerze, die schnell abfackelt. Die Große Koalition hat zu lange an der schwarzen Null festgehalten und es verpennt, rechtzeitig zu investieren. Jetzt sind ja bald schon wieder Wahlen!
Und jetzt gibt der Staat auf einmal 130 Milliarden Euro aus. Ist das Konjunkturpaket wenigstens ausreichend dick?
Das Volumen des Konjunkturpakets ist erst mal okay. Es ist aber denkbar, dass wir mehr brauchen werden.
Noch mehr Geld! Wer soll das bezahlen?
In der Krise ist es immer teurer, zu kürzen. Die Ausgaben des Staates sind die Einnahmen der Unternehmen und die Löhne. Aus Schulden muss man rauswachsen und die Milliardäre besteuern. Damit würgt man nicht die Konjunktur ab. Und: Die Europäische Zentralbank muss die Staatsausgaben garantierten, denn sie kann in Euro nie pleitegehen!
Die Bundesregierung setzt jetzt auf Wachstum und will ab 2023 Schulden tilgen. Halten Sie das für realistisch?
Es ist denkbar, dass sich die Wirtschaft bis 2023 wieder erholt. Aber man sollte längerfristig tilgen – etwa über 50 Jahre wie in Nordrhein-Westfalen statt über 20 Jahre. Sonst sediert man die Wirtschaft, wenn man zu schnell tilgt.
Man sollte die Schulden also am besten an die nächste Generation weiterreichen?
Den nächsten Generationen gehören auch die Enkel der Quandts oder Klattens an. Die kann man besteuern. Warum sollen Universitäten für unsere Enkel nur von der Großmutter bezahlt werden? Ein Haus baut man auch auf Raten.
Eigentlich gilt doch die Schuldenbremse. Der Bund musste bereits einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, die Bundesländer müssen es ab diesem Jahr. Ist die Schuldenbremse passé?
Sie steht noch im Grundgesetz. Aber sie muss weg. Man muss Investitionen auch über Kredite finanzieren. Solange es die Schuldenbremse aber gibt, brauchen wir nach der Coronakrise eine Vermögensabgabe für die oberen 1 Prozent.
Und wenn die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt würde, dann bräuchte man keine Vermögensabgabe mehr?
Wir als Linke wollen ja wieder eine dauerhafte Vermögenssteuer. Wenn die Schuldenbremse aber in Kraft bleibt, droht ein Kürzungshammer nach der Bundestagswahl. Dann braucht es zunächst eine einmalige Vermögensabgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg, die verfassungsrechtlich mit der besonderen Last begründet wird. Damit nicht wieder jene die Rechnung bezahlen, die den Laden am Laufen halten.
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