Linken-Kandidatur in Berlin: Doppelte Aufstiegsgeschichte
Ist die Kandidatin der Berliner Linken für das Rote Rathaus zu links? Bei ihrer Vorstellung klingt Elif Eralp zeitweise schon staatstragend.

Bis es soweit ist, bleibt ein Jahr lang Zeit, um Eralp, die auf einem Parteitag im November offiziell zur Spitzenkandidatin gekürt werden soll, bekannt zu machen. Denn die 44-Jährige sitzt zwar seit 2021 als Fachpolitikern für Mietenpolitik, Migration und Antidiskriminierung im Abgeordnetenhaus, aber einer breiten Öffentlichkeit ist sie bislang kaum bekannt. Wer also ist die Frau, die Kai Wegner (CDU) ablösen will?
Antworten darauf finden sich in dem Video ebenso wie in ihrer Biografie, und es gab sie auch bei ihrer Vorstellung bei einem Pressetermin am Freitag. Da ist zunächst die Migrationsgeschichte: 1980 flohen ihre Eltern, die Mutter im achten Monat schwanger, als politisch Verfolgte vor dem Militärputsch in der Türkei nach München, wo Eralp geboren wurde. Als Flüchtlingskind, aufgewachsen in Hamburg, hat Eralp auch Diskriminierung erfahren. Dass sie Karriere machen würde, war nicht vorgezeichnet.
Wird das also die dominante Erzählung ihrer Kandidatur in einer Stadt, in der mehr als 40 Prozent einen Migrationshintergrund haben? Eralp, die auch Türkisch spricht, widerspricht: „Das wird nicht der zentrale Claim sein.“ Sie möchte Kandidatin für ganz Berlin sein. Das Bild, das sie dafür zeichnet, ist das eines Menschen, der „immer viel arbeiten und fleißig sein musste, um seine Ziele zu erreichen“. Sieben Tage die Woche, 14 Stunden täglich etwa habe sie investiert, um Anwältin zu werden. „Elif Eralp ist eine Erfolgsstory“, sagt der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer bei ihrer Vorstellung.
Doch neben ihrem unwahrscheinlichen Aufstieg ist die zentrale Botschaft eine andere: Eralps Bodenhaftung. Dass sie als Mutter von zwei Kindern in Kreuzberg in einer normalen Mietwohnung lebe, betont sie wiederholt. Ebenso ihre politische Sozialisation in Initiativen wie dem Migrant:innen-Selbsthilfeverein Allmende, ihr Einsatz gegen Rassismus und Zwangsräumungen. Schirmer sagt, Elif Eralp kenne „die Probleme der Stadt nicht aus der Zeitung, sondern aus der Nachbarschaft“.
In die Linke, für deren Bundestagsfraktion sie bereits eine Weile als rechtspolitische Referentin arbeitete, trat sie 2017 nach dem Bundestagseinzug der AfD ein. Ihre Haltung gegen Rassismus ist so klar wie jene gegen Antisemitismus, gegen den sie sich seit ihrer Jugend eingesetzt habe, ob durch Diskussionen in der eigenen Community oder ihrem Engagement für ein Gedenken nach dem antisemitischen Anschlag in Halle. Zuletzt war Eralp auf der „All eyes on Gaza“-Demo, die die Linke mitorganisiert hatte. „Wir müssen verbinden. Die Polarisierung in der Stadt macht mir Sorgen“, sagt sie fast schon staatstragend.
„Große Schnittmengen“ mit der SPD
Bei ihrer Vorstellung wird deutlich: Volle Konfrontation ist nicht ihre Strategie im Kampf um die Macht in der Stadt. Ein Abarbeiten an der SPD, dem wohl neben den Grünen nötigen Koalitionspartner, wird es mit ihr nicht geben. Stattdessen fand Eralp gar Lob für die mietenpolitischen Beschlüsse der Sozialdemokraten und betonte die „großen Schnittmengen“. Die Absage des SPD-Spitzenkandidaten Steffen Krach an Vergesellschaftungen hält sie nicht für endgültig. Die Überführung von 220.000 Wohnungen in kommunales Eigentum bleibt das große Ziel. Die Linke wird die Wohnungsfrage ins Zentrum ihres Wahlkampfes stellen. „Mietendeckel“ steht auf einer Kette, die Eralp um den Hals trägt.
Ob sie zu radikal sei, zu links, wird sie auf der Presskonferenz im Karl-Liebknecht-Haus gefragt. Eralp macht nicht den Eindruck. Sie möchte Politik für die Mehrheit machen, die Mehrheit der 85 Prozent, die zur Miete wohnt. Sie sagt: „Wir machen keine Politik für linke Menschen, sondern linke Politik für alle Menschen.“
Zumindest innerhalb ihrer Partei ist Eralp damit konsensfähig. Ihre Nominierung durch den 20-köpfigen Landesvorstand fiel einstimmig aus. 17.600 Mitglieder hat die Linke in Berlin mittlerweile, die Hälfte davon ist innerhalb des letzten Jahres neu eingetreten. „Wir werden die Stadt mit unserem Wahlkampf aufmischen“, sagt die Co-Parteichefin Kerstin Wolter. Ob Elif Eralp dafür die richtige Kandidatin ist, muss sie nun beweisen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert