piwik no script img

Linken-Abgeordnete über Saudi-Arabien„Ein fataler Kuhhandel“

Im Syrienkonflikt dürfe Deutschland nicht auf Partner wie Saudi-Arabien setzen, fordert Sevim Dağdelen. Die Linke hat den Außenminister nach Riad begleitet.

Umstrittener Brückenbauer: Frank-Walter Steinmeier mit König Salman Mitte Oktober in Riad. Foto: dpa
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

Frau Dağdelen, Sie haben Außenminister Steinmeier in den Iran und nach Saudi-Arabien begleitet. In Riad haben sie protestiert, sich dabei aber nicht auf die Straße gewagt. Warum nicht?

In Saudi-Arabien gibt es kein Demonstrationsrecht. Wir wären sofort festgenommen worden. Es hätte lediglich einen diplomatischen Eklat gegeben. Deshalb habe ich zusammen mit meinem Kollegen Omid Nouripour von den Grünen im Hotel protestiert und davon Fotos macht.

Wogegen haben Sie protestiert?

Wir haben Schilder „Freiheit für Ali al-Nimr“ und „Freiheit für Raif Badawi“ vor die Fenster gehalten. Die beiden stehen stellvertretend für alle politischen Gefangenen in Saudi-Arabien, Ali al-Nimr steht auch für die zahlreichen Angehörigen der schiitischen Minderheit, die im Gefängnis sind.

Al-Nimr wurde mit 17 Jahren verhaftet und später zum Tode verurteilt. Was hat er getan?

Ihm wird vorgeworfen, im Rahmen der Proteste des Arabischen Frühlings, die in Saudi-Arabien im Keim erstickt wurden, an einer Demonstration teilgenommen zu haben. Das ist der einzige Grund, warum al-Nimr in Haft ist und zum Tode verurteilt wurde durch Enthauptung und Kreuzigung. Bedauerlicherweise hat das Oberste Gericht das Urteil am Sonntag bestätigt.

Konnten Sie ihn im Gefängnis besuchen?

Das Auswärtige Amt hat mir meinen Gesprächswunsch mit Ali al-Nimr versagt. Ich hatte auf einen Besuch bestanden, aber das AA teilte mir mit, dass das den Betroffenen nicht gut tun würde.

Im Interview: Sevim Dağdelen

40, sitzt seit 2005 für die Linkspartei im Bundestag. Sie ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

Hilft internationale Aufmerksamkeit den Verhafteten denn wirklich? Der Blogger Raif Badawi ist mittlerweile weltweit bekannt, sitzt aber auch Monate nach dem internationalen Aufschrei noch in Haft.

Es ist ein vorgeschobenes Argument, dass internationale Aufmerksamkeit schadet. Dass das nicht so ist, haben mir auch Journalisten und Menschenrechtsverteidiger bestätigt, mit denen ich mich in Riad getroffen habe. Internationale Aufmerksamkeit ist ihr Schutz. Je höher die Aufmerksamkeit, desto besser sind Menschenrechtler vor Ort geschützt.

Aus dem Umfeld von Badawi verlautet, dass sich das Auswärtige Amt zumindest in der Anfangszeit für den Blogger eingesetzt habe. Wie erklären Sie sich, dass Sie die Gefangenen nicht besuchen durften?

Das hängt mit dem Anlass der Reise zusammen. Steinmeier wollte als Brückenbauer in der Syrienkrise nach Iran und Saudi-Arabien fahren. Er wollte das so geräuschlos wie möglich machen und hat sich dem Diktat der beiden Länder unterworfen, etwa wenn es darum ging, die Menschenrechtslage öffentlich anzusprechen. Das ist ein fataler Kuhhandel: Menschenrechte ignorieren, damit es Bewegung gibt im Syrienkonflikt. Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Politik gegenüber Saudi-Arabien und den Golfstaaten insgesamt. Die Regierung muss die Rüstungsexporte an die saudische Monarcho-Diktatur beenden. Der Krieg gegen den Jemen findet mit deutschen Waffen statt. Und auch wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss die Unterstützung für das saudische Königshaus einstellen, das den islamistischen Terror in der Region fördert. Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist katastrophal: Unterdrückung Andersdenkender und der schiitischen Minderheit, Repression gegen Menschenrechtsaktivisten und eine mit dem Islamischen Staat vergleichbare Todesstrafe mit anschließender Kreuzigung.

Auch Sie werden aber zugeben, dass niemand an Saudi-Arabien vorbeikommt, der ernsthaft an einer politischen Lösung des Syrienkonflikts interessiert ist.

Dass die regionalen Akteure eingebunden werden müssen, ist richtig. Der Weg zum Frieden in Syrien führt über Riad und ich bin dafür, Gespräche zu führen. Aber Saudi-Arabien ist bisher an einer Lösung des Konflikts nicht interessiert. Die Saudis setzen weiter auf eine Bewaffnung terroristischer Terrorbanden wie al-Nusra, dem al-Kaida-Ableger. Mit Saudi-Arabien ist man auf dem völlig falschen Weg. Da spielen natürlich auch die USA eine wichtige Rolle. Ohne grünes Licht aus Washington könnte Saudi-Arabien seine Schützlinge der al-Kaida nicht unterstützen. Beide setzen auf eine Verlängerung des Bürgerkriegs in Syrien. Anders kann ich mir nicht erklären, dass weiter Waffenlieferungen an Terrormilizen stattfinden.

Das müssen Sie erklären. Warum setzen Washington und Riad Ihrer Meinung nach auf eine Verlängerung des Syrienkriegs?

Panzerbrechende Waffen werden an islamistische Terrorbanden geliefert.

Welches politische Interesse steht dahinter?

Offenbar geht es ihnen um einen Stellvertreterkrieg gegen Russland und den Iran. Sie wollen günstigere Ausgangsbedingungen für ihnen nahestehende Akteure bei künftigen Verhandlungen schaffen.

Und die wären?

Eine territoriale Aufspaltung Syriens, eine Balkanisierung. Das spielt in verschiedenen strategischen Plänen eine Rolle.

Glauben sie denn noch, dass Syrien in seinen bisherigen Grenzen als Staat weiter bestehen kann?

Ich hoffe es. Was auf dem Balkan passiert ist, ist kein Vorbild für den Nahen Osten. Man muss an der staatlichen Integrität festhalten und versuchen, durch Autonomie Besserung zu schaffen, etwa in Rojava, dem Gebiet der Kurden in Nordsyrien. Wir brauchen keine neuen Grenzen im Nahen Osten.

Ist das ein Plädoyer für eine politische Lösung, die Baschar al-Assad einschließt?

Ich bin für Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Die letzten Jahre haben Hundertausende Todesopfer gefordert. Der Westen war uneingeschränkt für einen Regimechange und gegen Dialog. Das hat die Situation nur verschlimmert. Wir müssen alle Akteure an einen Tisch bringen.

Ist das moralisch vertretbar? Assad ist der Hauptverantwortliche für die vielen Toten in Syrien.

Es ist wichtig, mit den Staatsoberhäuptern Dialog zu führen, selbst mit einem Despoten wie Erdoğan oder mit Saudi-Arabien, Katar und den Emiraten, wohlwissend, dass die Saudis Krieg im Jemen führen und Terror fördern. Man muss mit Assad verhandeln, wenn man an einer Beendigung des Syrienkrieges interessiert ist. Es sind zwei unterschiedliche Fragen: Ist man für einen Regimechange oder möchte man den Krieg beenden? Ich möchte eine Beendigung dieses Krieges.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • panzerbrechende waffen?d.h. depleted uranium, radioaktive halbwertszeit 4,5 milliarden jahre, in den händen von al nusra, is, al kaida.abgereichertes uran ist ein abfallprodukt der atomwirtschaft. ein einziges teilchen ist mutagen und überwindet die hirn und plazentaschranken mühelos.

  • Frau Dağdelen bringt das prima auf den Punkt. Aber: Assad ist der Hauptverantwortliche für die vielen Toten? Das halte ich aufgrund der Tatsache, dass nicht er diesen "Aufstand" begonnen hat und dass auch nicht er das Land mit Waffen und Geld für Terroristen überschwemmt hat, für eine gewagte These von Herrn Hagmann.

  • Selten kluge Worte, die man in der taz leider immer seltener liest…