Linke: Tränen, Fäuste, Lafontaine
Oskar Lafontaine versetzt den hessischen Landesverband der Linkspartei in Euphorie - und prophezeit den sicheren Durchmarsch bei der Landtagswahl 2008.
FRANKFURT/MAIN taz Viele ältere Lang- und Grauhaarige, die Männer in karierten Hemden und oft bärtig, die Frauen in ausgewaschenen Jeans oder in Kleidern aus Naturbaumwolle, finden an diesem sonnigen Samstagvormittag den Weg in den Saalbau. Auch jede Menge junge Leute in verschwitzten Trikotagen mit Che Guevara vorne drauf sind gekommen. Im Foyer des Bürgerhauses toben die Kinder.
Kein Szenario auf einem Grünen-Parteitag vor 20 Jahren, sondern Linkspartei live 2007. Die neue Linkspartei zelebriert an diesem Wochenende in Frankfurt ihren hessischen Gründungsparteitag. Als der Bundesvorsitzende seine Rede beendet hat, feiern die rund 150 Delegierten und noch mal so viele einfache Mitglieder und Sympathisanten Oskar Lafontaine. Eine fundamentalistisch anmutende linke Besoffenheit, wie sie zuletzt in den 70ern des vorigen Jahrhunderts bei Studentenversammlungen an der Frankfurter Uni konstatiert wurde.
Der Beifall für Lafontaine jedenfalls will gar nicht mehr enden. Alle sind aufgestanden. Fäuste werden in die stickige Luft gereckt. Einige rufen laut "Venceremos", andere: "Hoch die internationale Solidarität!" Als ein älterer Genosse oben auf der Bühne auf der Mundharmonika "Bergmann, Glück auf!" spielt, kommen vielen im Saal vor Rührung die Tränen. Lafontaine hat den Senioren auf dem Parteitag das linke Gefühl von damals wiedergegeben. Das Aufbruchsgefühl zurück auf dem Weg in eine neue Zeit. Die jungen Leute bejubeln den Popstar Lafontaine - den Animator aus der Villa der Gerechtigkeit mit dem großen Herzen für die Schwachen.
Die neue Zeit jedenfalls bricht nach den Worten Lafontaines spätestens nach der Hessenwahl im Januar 2008 an. Der "sichere Einzug der Linken" in Hessens Landtag werde der "Durchbruch" in Westdeutschland, prophezeit er. Jüngste Umfragen, nach denen es für die "Linke" knapp wird, beeindrucken ihn nicht. Die Linke sei auf dem Vormarsch und bereit zu regieren.
Richtung Berlin giftet Lafontaine, die "sozialpolitischen Schweinereien" der Regierungsparteien in Berlin seien kaum noch zu zählen. Auch die Grünen, die Harz IV mittrügen, bekommen ihr Fett weg. Die Moral der deutschen Unternehmer sei "verrottet". Und die SPD habe mit ihrer Zustimmung zum Afghanistaneinsatz die Friedenspolitik von Willy Brandt verraten.
Am Tag vor dem Auftritt Lafontaines haben die Delegierten von WASG und PDS die Vereinigung einstimmig beschlossen. Programmatische Entscheidungen wurden dagegen verschoben. Die Personalvorschläge des Interimsvorstandes stießen bei den Delegierten auf Kritik. "Kein Wort von den Linken zu aktuellen hessischen Herausforderungen und Problemen", höhnte der Generalsekretär der hessischen SPD, Norbert Schmitt. Stattdessen gebe es "Personalquerelen und eine inhaltliche Leere".
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
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