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Lilly Schroeder wandelte auf den Spuren der queeren Stadtgeschichte durch SchönebergZwischen Dönerbude und Nackttanzsalon

Sie bezeichnen sich als „professionelle Beziehungsgestaltende“, als „Königin der Straße“, ihre Arbeit als „tollen Mechanismus für den Tourismus der menschlichen Seele“. Unter dem Titel „Wir waren schon immer überall“ führen vier Sex­ar­bei­te­r*in­nen die Zu­hö­re­r*in­nen mit einer Audiotour auf eine historische Reise durch die Berliner Sexarbeit, angefangen im 19. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart. Innerhalb von siebzig Minuten lassen sie eine eher uncharmante Dönerbude am U-Bahnhof Bülowstraße sich in ein schillerndes Kabaretttheater verwandeln, das Novum-Hotel in einen glamourösen „Nackttanzsalon“ und das Einstein-Café in überfüllte Wohnungen, die Frauen in die Sexarbeit drängten.

Bei einem Audiorundgang durch das Rotlichtviertel Bülowkiez können Nut­ze­r*in­nen per Handy und App Berlin als Entstehungsort der queeren Emanzipation entdecken. Die queere Historie des Stadtviertels wird so bei einem Spaziergang erlebbar. Der Audiorundgang wurde von der Zeitgeschichts-App berlinHistory e. V. in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und dem Schwulen Museum im Rahmen eines neuen Themenfeldes der App „Queer Berlin“, entwickelt.

Die zwölf Stationen führen durch den Bülowkiez und zeigen dem Zuhörer den aktuellen Standpunkt sowie die weiterführenden Stationen an. Ergänzt werden diese von Bildern, die einen tieferen Einblick in die Geschichte der Community im Bülowbogen zulassen.

Ziel ist es laut Initiator*innen, den Beitrag, den Sexarbeit zur Geschichte Berlins geleistet hat, sichtbar zu machen. Neben der historischen Betrachtung teilen sie auch persönliche Erfahrungen und Beweggründe, die sie zur Sexarbeit geführt haben. „Ich liebe es, Beziehungen zu haben, in denen ich viel über Sex spreche, aber manchmal will ich einfach nur ficken“, erklärt eine Sexarbeiterin über die Kopfhörer und auf dem Weg zur Motzstraße.

Die Geschichten der Sex­ar­bei­te­r*in­nen handeln von Selbstbestimmung und Ermächtigung, Stolz und Spaß an ihrem Beruf. Sie handeln aber auch von Vorurteilen, „ordnungspolitischem Ping Pong“ und struktureller Diskriminierung von trans und queeren Personen. Daher fungiert der Rundgang auch als Aufruf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Sex­ar­bei­te­r*in­nen sowie für die vollständige Dekriminalisierung von Sexarbeit als notwendige Bedingung für die erfolgreiche Bekämpfung von AIDS. Dem historischen Umgang mit AIDS in Deutschland widmet sich der Verein übrigens in einer weiteren Audiotour fürs Fahrrad, die unter dem Titel „AIDS: nicht durch die Mauer zu stoppen …“ im Invalidenpark startet.

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