Lifestyle-Gentests aus der Apotheke: Fragwürdige Geschäfte
Gentests ohne ärztliche Anordung sind nicht zulässig, sagt der Basler Appell gegen Gentechnologie. Er zeigte Anbieter und Vertriebsfirmen an.
HAMBURG taz | Die Greifen-Apotheke in Basel, in der Schweiz, preist auf ihrer Homepage ein „neues Angebot“ namens DNA+Gewicht an: „Was führt bei Ihnen zu Übergewicht, Fett oder Kohlenhydrate? Testen Sie Ihre Gene und finden Sie die Antwort heraus!“ Wer drei Speichelproben abgibt und deren molekulargenetische Analyse beauftragt, erhält als Gegenleistung nicht nur einen Laborbefund. Zugesagt wird auch ein „auf Ihre Gene angepasstes Abnehmprogramm“ plus Liste mit mehr als 600 Nahrungsmitteln, „nach Ihren Genen bewertet“.
Das Angebot ist nicht einmalig, es gibt reichlich Konkurrenz. „Dutzende von Schweizer Apotheken und Drogerien, aber sogar auch Fitnesscenter verkaufen sogenannte Lifestyle-Gentests“, weiß der Verein „Basler Appell gegen Gentechnologie“.
Test-Angebote existieren nicht nur für die Suche nach acht Genen, die angeblich gewichtsrelevant sind. Rund 30 unterschiedliche Genchecks würden in der Schweiz sowie im Internet direkt gehandelt, darunter auch Tests auf genetische Risiken für Arthritis, Parodontose, Brustkrebs, Alzheimer oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hat der Basler Appell recherchiert. Die Preisspanne reiche von 300 bis 1.300 Schweizer Franken, umgerechnet 245 bis 1.060 Euro.
Genanalysen ohne ärztliche Anordnung und Beratung seien grundsätzlich „als hochgradig unseriös einzustufen“, findet der gentechnikkritische Verein. Er beruft sich dabei unter anderem auf die schweizerische Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen. Deren Papier vom Dezember 2008 besagt: Aus Resultaten von Gentests, angeboten im Internet, lassen sich weder das Krankheitsrisiko einer Person ableiten noch individuelle Empfehlungen zu Therapien oder Ernährung.
Der Verkauf von Gentests auf dem freien Markt ist nach Meinung des Basler Appells zudem ein „klarer Rechtsverstoß“. Der Verein verweist auf das Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG). Wie das deutsche Gendiagnostikgesetz (pdf) verlangt das GUMG, dass genetische Untersuchungen, die medizinischen Zwecken dienen sollen, durch einen Arzt veranlasst werden müssen.
Sogenannte Lifestyle-Gentests, die Risiken etwa für Haarausfall oder Fettleibigkeit aufspüren sollen, müssen nach Lesart des Basler Appells „im weitesten Sinne zum medizinischen Bereich“ gezählt werden – und somit zum Geltungsbereich des GUMG.
Strafanzeige gestellt
Vor diesem Hintergrund hat der Verein im November Strafanzeige gestellt mit dem Vorwurf, dass sowohl die Anbieter als auch Vertriebsfirmen und Hersteller derartiger Gentests womöglich mehrere Gesetze missachten würden. Wie intensiv und gegen wen die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt im Einzelnen ermittelt, ist bisher öffentlich nicht bekannt.
Vorgehen und Ergebnisse der Strafverfolger dürften auch in Deutschland mit Interesse verfolgt werden – insbesondere von der Firma ProGenom. Diese GmbH mit Sitz im westfälischen Geseke bietet unter dem Label DNA+ eine ganze Palette von Gentests zum direkten Kauf via Internet an, darunter auch das Produkt DNA+Gewicht. ProGenom kooperiert nach eigenen Angaben mit „führenden Genlabors“, deren Namen in den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ allerdings nicht genannt werden.
Im Oktober 2012 hatte ProGenom aber per Facebook mitgeteilt, einen neuen Geschäftspartner gewonnen zu haben, der fortan „die Vertriebsrechte für die ProGenom-Produkte in der Schweiz“ besitze: die Seefeld Medical GmbH in Zürich. Die wiederum stellt sich auf ihrer Internetseite als ziemlich kooperationsfreudig dar: „Wir arbeiten in der gesamten Schweiz mit Partnerunternehmen wie Apotheken, Drogerien, Ernährungsberatungs- und Beauty/Lifestyle-Unternehmen, sowie mit Fitness-Studios, Wellness-Hotels, Ärzten und Kliniken zusammen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen