Lieferprobleme wegen Corona: Einige Medikamente wurden knapp
In der Pandemie gab es bei manchen Medikamenten zeitweilig Engpässe. Das Problem: Produziert wird weit weg und teils nur von wenigen Anbietern.
Im Frühjahr sei man in Sorge gewesen, dass zentrale Substanzen wie Propofol für künstliche Beatmung oder das in der Intensivmedizin nötige Adrenalin knapp werden, schilderte Reinhardt von der Bundesärztekammer (BÄK) kürzlich im Tagesspiegel. Und warnte: „Wenn uns diese Mittel ausgehen, wäre das eine wirklich hochgefährliche Situation.“ Auch die Impfung gegen Pneumokokken, die Lungenentzündung verursachen können, sei vorübergehend kaum möglich gewesen. „Die Lieferengpässe bei Impfstoffen beunruhigen mich sehr.“ Die Nachfrage sei in der Pandemie stark gestiegen – und das wird auch für Grippe-Impfungen im Herbst erwartet.
Vor allem zu Beginn des Lockdowns war ungewiss, wie sich Lieferengpässe entwickeln würden, berichtet der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Inzwischen habe sich die Versorgungslage in Apotheken und Kliniken entspannt. „Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit, dass es auch in Zukunft zu versorgungsrelevanten Lieferengpässen von Arzneimitteln kommen kann“, sagt BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz der Deutschen Presse-Agentur.
Grundsätzlich sind Lieferprobleme wahrscheinlicher, wenn nur wenige Anbieter ein bestimmtes Arzneimittel herstellen und vertreiben. Vom Corona-Lockdown waren kurzfristig auch Hersteller in Norditalien und Spanien betroffen, zudem waren die Importe von Wirkstoffen aus Indien und China eingeschränkt. Planung, Herstellung und Auslieferung brauchen im Schnitt rund sechs Monate, erklärt Cranz. „Die Produktion von Arzneimitteln kann nicht einfach und quasi auf Zuruf umgestellt werden.“ Fällt ein Hersteller aus, ist das nicht fix zu kompensieren.
Hersteller in Europa halten
„Wenn wir für einen wichtigen Wirkstoff nur einen Produzenten haben und der sitzt irgendwo, wo es zum Lockdown kommt, kann das schwerwiegende Folgen auch für die Versorgung hier in Deutschland haben“, erläutert Martin Schulz von der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Ein Lieferengpass bedeute aber keineswegs immer, dass man Patien*innen nicht mehr versorgen könne. „Zum Problem wird es, wenn etwa bei manchen Krebsindikationen ein bestimmtes Mittel nicht bereitsteht, dann kann sich die Prognose des Patienten durch verzögerte Behandlung verschlechtern“, nennt der Experte ein Beispiel.
Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liegen aktuell 317 Lieferengpassmeldungen vor (Stand 30.8.). Sie betreffen 138 Wirkstoffe, 87 von ihnen sind versorgungsrelevant, wie ein Sprecher mitteilt. Schulz zufolge werden immer weniger versorgungskritische Arzneimittel in der EU produziert. So spiele sich die Antibiotika-Herstellung seit einigen Jahren zu gut 90 Prozent in Ostasien ab.
In einem neuen Gremium sollen nun auch Wirkstoffe bestimmt werden, bei denen die Industrie zu einer erhöhten Lagerhaltung verpflichtet werden kann, berichtet Schulz, der für die ABDA in dem neuen Beirat vertreten ist. Das gelte vor allem für Mittel, für die es kaum Alternativen gebe und die in der Intensiv- und Notfallmedizin gebraucht würden. Es gehe auch darum, zumindest die Hersteller, die noch in Europa sind, möglichst zu halten.
Auch für Impfstoffe birgt die Konzentration auf wenige Produzenten Risiken. Beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) heißt es: „Bleibt die Anzahl der Impfstoffhersteller weiterhin begrenzt und greifen diese bei einzelnen Impfkomponenten auf wenige Lieferanten zurück, ist zu vermuten, dass weiterhin immer wieder Lieferengpässe auftreten werden.“ Die gute Nachricht: Bei den Grippe-Impfstoffen sollen für die Saison 2020/21 größere Mengen bereitstehen als in den Vorjahren – und laut PEI-Prognose wird das auch bei größerem Andrang ausreichen.
Um trotz Lieferengpässen ein Problem bei der Versorgung zu verhindern, kann man knappe Mittel kontingentieren – also in begrenzten Mengen abgeben. Wie beim fiebersenkenden Schmerzmittel Paracetamol, wo es vorübergehend – ähnlich wie beim Klopapier – eng wurde, weil sich manche übermäßig eindeckten. In manchen Fällen könnten Ärzt*innen ihre Patient*innen auch mit einem alternativen Medikament behandeln, sagt Schulz. „Aber das kann auch mit neuen beziehungsweise anderen Risiken verbunden sein, zu denen der Patient dann vom Arzt oder Apotheker beraten werden muss.“
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