Liebeserklärung: Bürgermeister von Herxheim
Der Streit über eine Hitler-Glocke in der Pfalz konfrontiert uns mit der bitteren Realität
Sie ist dahin, die Ruhe im 750-Einwohner-Dörfchen Herxheim am Berg in Rheinland-Pfalz – und das alles nur wegen Adolf Hitler. Genauer: wegen einer Glocke im Kirchturm, auf der ein großes Hakenkreuz ebenso prangt wie die Aufschrift „Alles fürs Vaterland“ und der Name Adolf Hitler.
Wegen dieser Glocke musste nun Herxheims Bürgermeister Ronald Becker (Freie Wähler) zurücktreten. Nicht wegen der Glocke, wenn man es genau nimmt; sondern wegen seiner Äußerungen dazu. „Wenn man den Namen Adolf Hitler nennt, dann ist immer gleich die Judenverfolgung und die Kriegszeiten als Erstes obenauf“, sagte er vergangene Woche in der ARD-Sendung „Kontraste“. Und weiter: „Wenn man über solche Sachen berichtet, soll man umfangreich berichten. Dass man sagt, das waren die Gräueltaten, und das waren auch Sachen, die er in die Wege geleitet hat und die wir heute noch benutzen.“
Das Zitat sei aus dem Kontext gerissen, er habe lediglich ein Telefonat mit einer 95-jährigen Herxheimerin sinngemäß wiedergegeben, empörte sich der zurückgetretene Becker nun auf der Website Herxheims unter der Überschrift „Bürgermeister geht – Glocke bleibt!“. Diese Aussage habe ihn sehr beeindruckt, da er selbst die NS-Zeit nicht miterlebt habe. Nun werde er „Opfer“ seiner „sehr offenen Vorgehensweise“. Von einer Verherrlichung dieser Zeit distanziere er sich. Nicht erklärt sind damit allerdings andere Äußerungen Beckers in der Sendung; etwa dass die Glocke nun seit 83 Jahren im Herxheimer Kirchturm hänge und es nur drei solcher Glocken im gesamten Bundesgebiet gebe: „Da kann man nur stolz sein.“
„Es war ja nicht alles schlecht“, oder: „Denk doch an die Autobahn“ – diese Sätze sind doch zu schlechten Witzen verkommen, die die Absurdität irgendeiner Aussage unterstreichen sollen. Hätte man zumindest meinen können. Aber dann kam Ronald Becker und mit ihm die Gemeinde Herxheim am Berg und rief uns weniger als drei Wochen vor der Bundestagswahl in Erinnerung: Es gibt sie tatsächlich, die Leute, die diesen Mist ernst meinen. Die nicht etwa einen Schlussstrich fordern, sondern finden, man könne so langsam ja mal wieder über die guten Seiten reden – und die vor Kurzem eine Wahlbenachrichtigung in ihrem Briefkasten liegen hatten.
Und diese Leute sitzen nicht nur bei der NPD, der AfD oder in sonst welchen kruden Gruppierungen: „Es war nicht alles schlecht“, sagt im „Kontraste“-Beitrag zum Beispiel auch ein vor Kriegsende geborener Einwohner, der mal für die SPD im Gemeinderat saß. Autobahn, Vollbeschäftigung – „die Leute waren zufrieden“. Danke, Herxheim, für diese ziemlich harte Bruchlandung in der Realität.
Dinah Riese
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