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Liebeserklärung ans FahrradMein Joker auf zwei Rädern

Essay von Du Pham

Unsere Autorin liebt das Fahrradfahren. Es gab ihr Selbstvertrauen und bringt ihr ein Gefühl von Freiheit, rosige Wangen und Glück.

Ich fahre immer Fahrrad. Im Alltag, im Urlaub, wenn ich meine Familie besuche Foto: CHristophe Petit Tesson/epa

F ast schon überheblich rolle ich am Morgen an den vielen langsam vor sich hinsiechenden Autos vorbei und halte an der Ampel vor ihnen. Ich liebe den Fahrradabschnitt, der sich ganz vorne vor dem Halte­streifen für Vierräder befindet. Drei Kilometer sind es mit dem Rad zur Arbeit – eine ziemlich läppsche Pendellänge. Im Aufzug bei der Arbeit sehe ich, dass die noch kalte Luft mir rosige Wangen beschert hat und mir ein lebendiges Etwas im Gesicht gibt.

Ich fahre immer Fahrrad. Im Alltag, im Urlaub, wenn ich meine Familie besuche. Wie für viele Andere war das Fahrrad für mich als Kind ein Draußen­spielzeug und eine Schul­weg­bewältigungshilfe. Bis es geklaut wurde und die Pubertät eintrat. Als ich schließlich aus- und in die Großstadt zog, schenkte meine Tante mir ihr altes, dunkelblaues, nach Hollandrad aussehendes Gefährt, und das Zweirad wurde in der Funktion als ­günstiges Fort­bewegungsmittel wieder ­präsenter in meinem ­Leben.

Immer wenn es regnete, flog die Kette runter. Irgendwann bekam ich eine Joker-Klingel geschenkt Als sie jemand klauen wollte und ich diesen Jemand erwischte, wollte ich ihn verprügeln. Ein anderes Mal stand mein Rad nicht mehr im Hof, mein Nachbarkumpel fand es ein paar Straßen weiter mit einem anderen Schloss versehen und wir klauten es zurück. Das waren vermutlich die Momente, nach denen ich mir kein Leben mehr ohne (m)ein Fahrrad vorstellen konnte.

Das Radfahren lehrte mich Selbstvertrauen. Dank ihm habe ich, französische Zigaretten rauchend, den Mont Ventoux erobert. Das Radfahren half bei Bahnausfällen. Die 72 Kilometer zu Maman konnte ich einfach selber fahren. Das Radfahren brachte mich an die entlegensten Orte, die weder zu Fuß noch mit dem Auto zu erreichen sind. Ich war in Gegenden Vietnams, die meiner Familie kaum ein Begriff sind. Es rührte sie und brachte uns näher.

wochentaz

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Meine Familie fährt ebenfalls viel Rad, allen voran mein Opa, der uns früher aus Sperrmüllfunden ein Zweirad hergerichtet hat. Allerdings bedauern sie hin und wieder meine (alleinige) Anreise auf zwei Rädern. Ein wenig aus Sorge, vor allem aber, weil ich nicht mehr so viel Essen zurücktransportieren kann. Der Umstand jedoch, dass Radfahren meine Ankunft wahrscheinlicher macht, tröstet sie.

Zudem schätzt meine Maman, dass ich ihre Fahrräder warten kann. Ich schraube ehrenamtlich an Rädern herum und habe mir in den letzten zehn Jahren einige Fertigkeiten beigebracht. Das brachte mir die Gewissheit, immer wenn ich es brauche, alleine unterwegs sein zu können, weil ich mir bei Pannen selbst helfen kann.

Jede Beziehung braucht Pflege

Manchmal vergesse ich, wie viel Selbstbestimmung und Freiheit mir das Radfahren gibt. In seiner alltäglichen ­Präsenz wird es für mich zu selbstverständlich. Wie in Part­ne­r*in­nen­schaf­ten mangelt es an Wertschätzung und man ver­nachlässigt die ver­meintliche Arbeit, die ein Miteinander mit sich bringt. Ich ärgere mich dann über Tüddelkram, wie, dass die Kette sauber gemacht werden muss oder dass ich den schönen Vintagemantel nicht tragen kann, weil er sonst genau da drankommt.

Um mir zu demonstrieren, dass ich nicht abhängig von meinem Fahrrad bin, unternehme ich Städtetrips. Dann fahre ich in der vollen verspäteten Bahn voller menschlicher Ausdünstungen nach Paris. Um asiatische Lebensmittel einzukaufen, die ich in ­Deutschland nicht bekomme. Zu Fuß unterwegs, genieße ich anfangs das alleinige Flanieren. Bis es mir zu (un-)menschlich wird.

Als kleine Frau kenne ich das Ärgernis, das in der Vergangenheit erfreulicherweise medial aufgegriffen wurde: Manslamming. Hindernisse, in männlicher Menschenform, die selbstverständlich nicht ausweichen, sondern rempeln. Nicht selten fliegt nach einer tief hochgezogenen Erzählung aus dem Inneren noch ein dicker Geleeklotz vor die Füße.

Nun sind die Straßen in Paris entweder prächtig breit oder gassig schmal, aber immer dicht gedrängt. Ich erwische mich dabei, wie ich all die Menschen auf ihren Rädern beneide. Erhöht gleiten sie elegant und zügig an Menschen und Autos vorbei, sie haben etwas Starkes an sich. Sie sind eine Menschmaschine.

In dem Moment identifiziere ich eine weitere Libertät, die mir das Radfahren vermittelt: Isoliert am Leben teilzunehmen, fernab von ungewollter Nähe. Auf dem Rad bin ich in meinem Safe Space. Ziemlich defensiv sitze ich also im vollen Zug auf dem Weg nach Hause, zu den Fahrrädern. Doch die Vorfreude auf ein Wiedersehen erweckt ein lebendiges Etwas in mir und beschert mir rosige Wangen.

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4 Kommentare

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  • Es gibt nichts schöneres als Fahrradfahren!

  • Das geht mir ganz genauso. Obwohl ich auf dem Lande groß geworden bin, war es wie ein Befreiungsschlag, als ich endlich alt genug war, um mit dem Rad zur Schule zu fahren. Lieber bin ich selbstbestimmt bei Regen und Schnee die 10 Kilometer mit den Rad gefahren, als mit in diesen elenden Schulbus zu setzen. Auch konnte man plötzlich ohne Mama-Taxi den Kumpel im Nachbardorf besuchen.



    Das Problem, oder besser der Fakt: Genauso geht es Millionen mit dem Auto. Das sollte der Städter bedenken, wenn er Verkehrsplanungen für das Land betreibt. Da bringen leider ein oaar Buslinien gar nichts, das Gefühl der Freiheit, die Tatsache der Selbstbestimmtheit, können Öffis niemals leisten. In der Stadt ja, wenn die Züge dicht vernetzt alle drei Minuten fahren. Aber wenn ich in Köln schon 15 Minuten warten muss, nehme ich das Fahrrad und bin schon fast da.

  • Die ersten beiden Absätze kamen mir beim Lesen seltsam vertraut vor, obwohl ich mit der Autorin außer dem Verhältnis zum Radfahren kaum etwas gemein habe.



    Radfahren habe ich mit einem 28er-Herrenfahrrad unter der Stange durch als Sechsjähriger gelernt. Das erste Fahrrad kam von der dörflichen Müllhalde in der Feldmark und war nach ein paar Reparaturmaßnahmen noch jahrelang zu gebrauchen.



    Ich fahre auch immer Fahrrad - in der Freizeit, für Besorgungen, fast mein ganzes Arbeitsleben zur Arbeit.



    Als relativ kleiner Mensch habe ich einen Vorteil gegenüber wandelnden Leuchttürmen schon frühzeitig entdeckt: Man hat weniger Luftwiderstand, was vor allem bei Gegenwind das Radeln etwas weniger anstrengend macht.



    In der Natur macht Radfahren den Kopf frei.



    Radfahren kann auch Nähe vermitteln - beispielsweise bei Radtouren, auf denen man auch im fortgeschrittenen Alter neue Freunde finden kann.



    Auf dem Rad bin ich leider häufig in keinem Safe Space. Dafür gibt es einfach zu viele aggressive rücksichtslose Verkehrsteilnehmer um mich herum - nicht nur Autofahrer... Da hilft auch ein Helm nur bedingt.



    Das zu Fuß gehen sollte man aber auch nicht negativ sehen. Die Seele geht zu Fuß.

  • Mademoiselle,



    ich habe mich wegen ihrem Beitrag extra registriert.

    Super geschrieben und mir ergeht es genauso, das Fahrrad war schon seit meiner Kindheit mein Begleiter und ich hab viele Km abgerissen.



    Ich kann auch voll nachvollziehen was mit "Isoliert am Leben teilzunehmen, fernab von ungewollter Nähe" gemeint ist.



    Ich fahre ungern mit dem Bus oder der Bahn und laufen tuh ich auch eher auf nieder frequentierten Orten.



    Die meisten Menschen, besonders in der Stadt, sind eher auf sich und Ihr Handy fixiert und bekommen es nicht hin dem gegenüber passend und vor allem Fair zu begegnen.



    Auf dem Fahrrad, ist man als jemand der kein PKW-Schein besitz, dem etwas weniger ausgesetzt.



    Fahrradfahrer rufen teilweise in mir aber auch das Bedürfniss des kopfschüttelns aus, sowie auch andere Verkehrsteilnehmer...



    Man kann nicht alles haben..



    Liebe Grüße