Lidokino: Im wilden Kurdistan
■ Woody Allen würdigt Jazzgitarristen, Abbas Kiarostami macht es mit Handys
Es ist schon gut, dass man die besten Ideen im Leben nicht verwirklichen kann. Denn nicht zu gehen, sondern zu bleiben, war die bessere Idee von Sean Penn. Einfach weil „Sweet and Lowdown“ Woody Allens schönster Film seit langem ist. Und da Allens Stärke in der komischen Verklärung liegt und nicht in der spöttischen Entlarvung, bewegt er sich mit seinem neuerlichen „period piece“ auf sicherem Grund: „It Don't Mean a Thing (If It Ain't Got That Swing)“ – damit ist Allens neuester Film tatsächlich auf den Punkt gebracht.
Django Reinhardt hat den Swing, von dem der Duke-Ellington-Titel spricht. Reinhardt ist ist noch besser als Sean Penn, der Emmet Ray ist, der weltbeste Gitarrist. Mit Ausnahme von diesem Typen in Frankreich, wie Ray stets hinzufügt. Zweimal hat er ihn live spielen gehört und jedes Mal fiel Emmet Ray in Ohnmacht. Also muss man ihm nur weismachen, Reinhardt wäre im Club, und schon flüchtet Ray panisch aufs Dach, um sich von dort aus auf das nächste Hausdach zu retten. Das erweist sich als wenig stabil, er bricht durch und fällt in eine Geldfälscherwerkstatt. Weil die Drucker eine Razzia vermuten und davonlaufen, kann Ray all die schönen Dollars einsacken und sich den Rolls-Royce kaufen, den ihm sein Agent wegen Kassenflaute nicht bewilligte.
Diese und noch weit wundersamere Anekdoten liefern uns in den Zwischeneinblendungen anerkannte Jazzkritiker wie Nat Hentoff, Douglas McGrath oder auch Woody Allen. Er allerdings liefert uns mit diesen Geschichten überhaupt die Erfindung des Jazzgitarristen Emmet Ray; samt dessen sehr trauriger Liebesgeschichte mit dem stummen Wäschermädel Hattie. Sean Penn wiederum macht aus der Erfindung den Mann, von dem wir am Ende wider besseres Wissen aufrichtig bedauern, nicht mehr zu kennen als die paar Plattenaufnahmen „recorded for RCA Victor“.
Gibt es eigentlich ein Abbas-Kiarostami-Pressetäschchen? Darin fände sich das Material zu einem weiteren, ganz und gar wunderbaren, spannenden und ebenfalls ziemlich komischen Film, der weitgehend ohne Story auskommt. Zunächst sitzen wir in einem Auto und bestaunen die Landschaft. Unsere Mitreisenden, die wir nicht sehen, weil wir ja aus dem Auto rausschauen, wundern sich, wo wir abbiegen müssen, an welchem einzeln stehenden Baum, nach welcher Kurve. Derweil sehen wir nichts als Kurven und einzeln stehende Bäume.
Dass Menschen mit anderen Menschen sprechen, ohne dass diese sichtbar wären, sei es, weil sie ein Loch graben, also in der Erde verschwunden sind, sei es, weil der andere Sprecher am Telefon hängt, ist ein Prinzip von „The Wind Will Carry Us“. Und dann das Handy! Man könnte meinen, Kiarostamis Film sei eine hochironische Hommage an unser neuestes Lieblingskommunikationsmittel. Die Insassen des Autos, wohl Fernsehjournalisten, sind ins wilde Kurdistan gefahren, um ein geheimnisvolles Trauerritual zu covern. Da der Trauerfall noch nicht eingetreten ist, muss Behzad Dourani, der Boss der Truppe, ständig mit der Zentrale über ihr weiteres Bleiben verhandeln. Nun ist aber der Empfang in der kurdischen Berglandschaft recht schlecht und so entwickelt Kiarostami am Kampf ums Telefonieren sein fantastisches skurriles Drama um Tod und Heimischwerden im kurdischen Dorf. Brigitte Werneburg
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