Libanonkrieg-Spielfilm „1982“: Als die Fassade der Ruhe bröckelte
Regisseur Oualid Mouaness rekonstruiert in seinem großartigen Debüt „1982“ den aufziehenden Libanonkrieg – eingebettet in seinen letzten Schultag.
Das Donnern ist da, noch bevor der Film wirklich begonnen hat. Für den jungen Wissam ist die wichtigste Mission an diesem Sommermorgen im Jahr 1982, seiner Mitschülerin Joanna einen Brief in den Spind zu legen. Auf dem Hof versuchen die Schüler_innen der Grundschule in den Bergen bei Beirut ihre Nervosität zu zügeln.
Vor ihnen liegt ein Tag voller Prüfungen. Im Büro der Schulsekretärin rattert das Radio immer neue Meldungen über den Vormarsch der Israelis herunter. Der libanesische Regisseur Oualid Mouaness rekonstruiert in seinem Langfilmdebüt „1982“ seinen letzten Schultag, bevor die Schule vorzeitig vorbei war.
Eine Außenaufnahme zeigt die Englischlehrerin Yasmine und ihren Kollegen Joseph beim besorgten Blick aus dem Fenster während die Schüler_innen in ihre Prüfungen vertieft sind. Noch ist das Donnern der Jets weit entfernt. Wissam schlendert über den Hof, auf der Suche nach einem ruhigen Ort, um eine Zeichnung fertig zu bekommen. Es kreist auch diese um die Figuren der Anime-Serie „UFO Robot Grendizer“. Auch der Himmel über dem Schulhof wirkt nun wie schraffiert.
Virtuos bedient sich Mouaness eines begrenztes Repertoires von Elementen für seinen Film. Die Handlung bleibt fast vollständig auf den Mikrokosmos der Schule beschränkt. Die warm getönten Bilder des Sommertags dortin der Schule zeigen einen geschützten Raum, des Lernens, des Heranwachsens und der Begegnungen, für Wissam mit Joanna, die die Briefe ohne Absender nicht beantworten kann, aber sie weder entsorgt noch den Lehrer_innen meldet.
„1982“. Regie: Oualid Mouaness. Mit Nadine Labaki, Mohamad Dalli u. a. Libanon/USA/Katar/Norwegen 2019, 100 Min.
In Elementen wie den Schaffuren im Himmel weitet sich die Welt Wissams auf die Außenwelt des Films. Die Bedrohung baut sich auf der Tonspur auf. Wie bei einem aufziehenden Gewitter kommt das Donnern allmählich näher.
Geschickt durchflicht der Regisseur den Schultag mit kleinen Andeutungen der Konflikte, die den Libanon in den Jahren des Bürgerkriegs prägten. Als Yasmines Bruder Georges sie an der Schule absetzt, reißt sie die Kette mit dem Kreuz vom Rückspiegel, damit es ihrem Bruder nicht an einem der Kontrollpunkte des vom Bürgerkrieg zerteilten Libanon zum Verhängnis wird.
Die Fassade wird rissig
Ihr Bruder erklärt, noch am gleichen Tag in den Süden zu fahren. In den Süden, zu den Kämpfen. Joanna wiederum ist jenseits der Schule für Wissam unerreichbar, weil sie im mehrheitlich muslimisch geprägten Westen von Beirut wohnt, er selbst im mehrheitlich christlich geprägten Osten.
Die Fassade der Ruhe, die die Lehrer versuchen aufrechtzuerhalten, wird immer rissiger. Ein Dieseltank geht in Flammen auf. Dann rollt eine Kolonne gepanzerter Truppentransporter an der Schule vorbei. Im Sekretariat setzt hektisches Treiben ein, die Eltern der Kinder müssen kontaktiert werden, gebeten werden, die Kinder abzuholen.
Zwischen den beiden Teilen Beiruts ist nur noch ein einziger Übergang geöffnet. Allmählich übertönt das Donnern der Jets und der Bomben die Normalität der Schule. Mitten in der Matheprüfung werden die ersten Schüler abgeholt. Im Himmel direkt über dem Schulbus, der die Schüler_innen ein letztes Mal aus der Schule nach Hause fahren soll, wird ein syrisches Flugzeug abgeschossen.
Voller Empathie für seine Figuren hat Oualid Mouaness in „1982“ einen großartigen Film realisiert. Mouaness inszeniert den heraufziehenden Krieg wie in einem Horrorfilm, der den Schrecken zunächst anklingen lässt, bevor er im Bild erscheint, und balanciert das Bedrückende dieser Bilder dann, indem Wissams Fantasie über sich hinauswächst. Ein großer Dank an Irit Neidhardt und ihren Verleih mec film dafür, diesen Film in die deutschen Kinos zu bringen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!