Leverkusens Starstürmer: Bailey boxt sich durch
Leon Bailey, 20, verleiht selbst dem grauen Bayer Leverkusen Glamour. Zum Auftakt der Rückrunde geht es gegen den FC Bayern.
Bailey hier, Bailey da, der junge Fußballer ist derzeit der große Entertainer des Werksklubs. Denn neben seinen sehenswerten Leistungen, seinen bisher sechs Toren und fünf Vorlagen, hat er auch eine Lebensgeschichte zu bieten, die sich drastisch von den glatt geschliffenen Karrieren der Zöglinge aus den deutschen Fußballinternaten unterscheidet.
Bailey wuchs in schwierigen Verhältnissen in Jamaikas Hauptstadt Kingston auf, wo er früh von seinem heutigen Berater entdeckt wurde. Dieser Craig Butler war in Jamaika wegen seiner dubiosen Transferaktivitäten bereits zu einer sechsjährigen Sperre verurteilt worden, aber er betreibt die Phoenix All Stars Football Academy, wo Bailey sich wunderbar entwickelte. Mit Butlers Sohn Kyle wurde Leon mit 14 nach Europa geschickt, wo er über Österreich beim KRC Genk landete und turbulente Jahre erlebte.
Als es Probleme mit den Fifa-Regularien gab, weil Bailey mit 16 zu jung für den Dreijahresvertrag war, den er unterschrieben hatte, war Craig Butler unauffindbar. „Es war eine schlimme Situation“, hat der damalige Sportdirektor Gunter Jacob einmal erzählt, „um zu verhindern, dass die Jungs auf der Straße herumliefen, haben wir dafür gesorgt, dass sie zur Schule gehen konnten und dass sie bei uns ausgebildet wurden.“ Als Butler wieder auf der Bildfläche erschien, behauptete er, in Mexiko entführt, ausgeraubt und in der Wüste ausgesetzt worden zu sein, wo er nur mit Glück überlebte.
Länderspiel fehlt noch
Im vorigen Winter kam Bailey für zwölf Millionen Euro nach Leverkusen, fiel aber zunächst nicht auf dem Platz auf, sondern weil er sich auf der Plattform Snapchat über den belgischen Boxer Atif Tanriseven Ribera lustig gemacht hatte. Der Kampfsportler drohte Prügel an. Und in Leverkusen fragten sich viele: Was für einen Spinner haben die da eingekauft? Inzwischen freuen sich alle, diesen Straßenköter in ihrem Team zu haben, dem ja schon lange vorgeworfen wird, zu brav zu sein.
Eine tragende Säule des gegenwärtigen Erfolges sei „die Mentalität dieser Mannschaft“, sagt beispielsweise Sven Bender, der Bailey im Trainingsalltag als „guten, klaren Typen“ wahrnimmt. Rudi Völler charakterisiert das neue Bayer-Juwel als „mannschaftsdienlich und selbstkritisch“, und Trainer Herrlich sagt, sein bester Spieler sei sehr „aufmerksam und wissbegierig“. Ein Länderspiel fehlt Bailey trotzdem noch.
Der gewiefte Adoptivvater hat bisher verhindert, dass sein Ziehsohn für Jamaikas Nationalteam antritt, um die Option zu wahren, in eine europäische Auswahlmannschaft aufgenommen zu werden. Sollte der Leverkusener also noch eine Weile in der Bundesliga spielen und – etwa nach einer Hochzeit – eingebürgert werden, könnte er theoretisch sogar in die DFB-Elf berufen werden.
Auf dem Platz ist Bailey nämlich ein Spektakel als unkonventioneller Individualist, wie ihn jedes Team der Welt gebrauchen kann. Noch spektakulärer ist nur, dass er trotz seiner bewegten Biografie bisher eine solch perfekte Balance zwischen seriöser Arbeit und Leichtigkeit im Alltag findet.
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