Letztes Länderspiel von Lukas Podolski: Der Klimaschützer
Lukas Podolski spielt am Mittwoch seine letzte Partie im DFB-Trikot. Die jüngere deutsche Fußballgeschichte hat er entscheidend mitgeprägt.
Der Deutsche Fußball-Bund war immer froh, den Poldi zu haben, einen sympathischen Markenbotschafter der Nationalmannschaft. Lukas Podolski ist so gar nicht aus dem Holz des Fußballbundes geschnitzt.
Dieser Apparat, eine Art Geheimbund mit angeschlossenem Sportbetrieb, leistet sich eine Presseabteilung, die das nordkoreanische Informationsministerium neidisch machen würde. Der DFB hat Funktionäre beschäftigt, die am großen Rad der Korruption gedreht haben und trotzdem als reine Menschenfreunde gefeiert werden wollen. Und jetzt ist dort jemand Chef, der irgendwie an Helmut Kohl erinnert und an Bierzeltromantik im ländlichen Niedersachsen.
Aber lassen wir das und wenden uns der Frohnatur zu, die sich längst in einer höheren Sphäre der Volkstümlichkeit bewegt und auf deren Klingelschild nur die Koseform „Poldi“ stehen könnte und alle wüssten Bescheid. Das hatte er einmal gemein mit seinem siamesischen Fußball-Zwilling, Schweini. Poldi und Schweini, das waren in den nuller Jahren die Enfants terribles des Nationalteams. Schweini hat dann versucht, im Abwehrkampf gegen das Spätpubertäre den Diminutiv hinter sich zu lassen – durch herz- und schmerzhafte Auftritte als Kapitän der Nationalmannschaft und durch einen viertelstaatsmännischen Gestus.
Das Coming of Age eines Fußballprofis ist Podolski nicht ganz so gut gelungen. Er hatte als Kölner aber auch immer andere Verbindlichkeiten.
Das Freundschaftsspiel am Mittwoch gegen England (ARD, 20.15 Uhr) ist das letzte Spiel für den 31-Jährigen. 129 Mal steckte er im Trikot des Deutschen Fußball-Bundes, nur Miroslav Klose und Lothar Matthäus liegen in dieser Statistik vor ihm. 48 Tore hat er geschossen, mehr als Jürgen Klinsmann oder Rudi Völler (beide 47). Gestern, auf seiner letzten DFB-Pressekonferenz, sagte er, jetzt nach 13 Jahren aufzuhören, das sei „ein komisches Gefühl“.
Leichter, technischer, fluffiger
An Podolski lässt sich die jüngere Geschichte des deutschen Fußballs erzählen. Für viele beginnt die ja erst im Jahre 2006 mit der Weltmeisterschaft im eigenen Land, als Deutschland nicht nur fußballpatriotisch auffällig wurde, sondern sich auch ein neuer Stil durchsetzte. Das deutsche Spiel, bis dahin leicht panzerig oder rumpelig, wurde plötzlich leichter, technischer, fluffiger. Es war eine Zeit des Umbruchs. Leistungszentren und Jugendarbeit wurden wichtig, genauso wie Mentalcoaches, Fitnesstrainer, Ernährungsberater und Taktikfreaks. Als ein solcher galt Joachim Löw. Noch so ein Sympathieträger, der dem ollen DFB ein freundliches Gesicht gab. Es dauerte nicht lang, da wurde auch Löw vereinnahmt. Als Jogi machte er Karriere, neben Schweini und Poldi.
Der Jogi ist jetzt Weltmeistertrainer, der Schweini ein Celebrity, die es in die USA zu den Chicago Fire zieht, und Poldi, der mit seinem polnischen Migrationshintergrund dann auch noch Mitglied der Internationalmannschaft wurde, beglückte halb Europa mit seiner Fußballkunst. Er verzückte zum Beispiel die Fans des FC Arsenal nicht nur mit Dribblings auf der linken Seite und gewohnt strammen Linksschüssen, sondern auch mit recht verblüffenden Kenntnissen der englischen Sprache.
In London schaffte er es aber nur selten in die Startelf, und auch in der DFB-Auswahl war Podolski die meiste Zeit eher Ergänzungsspieler, dessen Wert sich nicht nur auf dem Rasen zeigte, sondern im Mannschaftsquartier als Buddy und Supertype. „Er hat eine unglaubliche Empathie“, sagte Löw gestern, „jedem hat er das Gefühl gegeben, wichtig zu sein.“
Außenminister der Nationalmannschaft
Podolski, der im Sommer nach Japan geht, wuchs in die Rolle des Außenministers der Nationalmannschaft hinein. Seinen denkwürdigsten Auftritt hatte er nach der Schnüffel-Affäre von Löw. Der Bundestrainer hatte sich selbstvergessen ins Schamhaar gefasst und dann, von Kameras beobachtet, an seiner Hand gerochen, was nicht nur in Boulevardmedien diskutiert wurde. Podolski sagte anschließend: „In der Mannschaft ist das kein Thema, ich denke, achtzig Prozent von euch und auch ich kraulen sich mal an den Eiern. Von daher ist alles gut.“
Mit solchen Auftritten rechtfertigte er weitere Nominierungen in den Kader des DFB-Teams, sportlich hatten ihn andere längst überholt. Löw ist ein Mann, der loyal ist und zu schätzen weiß, was altgediente Spieler fürs Mannschaftsklima tun können, vor allem während eines Turniers, wenn die Spieler wochenlang aufeinanderhocken. Da braucht es Sportler, die für Entspannung und Unterhaltung sorgen. Kicker wie Podolski.
Gut möglich, dass er auch seine Mitspieler mit Bonmots zum Lachen brachte. Der schönste dieser Sprüche stammt allerdings gar nicht vom Offensivspieler selbst, sondern von Jan Böhmermann: „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel.“
Das DFB-Team ohne Poldi – das ist wie Dame ohne Roulettekessel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid