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Letzte gedruckte taz-AusgabeBekennerbriefe und ein Starschnitt

Rückblick in Episoden auf eine Zeit, als in der taz noch das Papier regierte und wochentags eine gedruckte Zeitung produziert wurde.

Berlin-Redaktion: T. Mauch, C. Dünkler, H. Fleckenstein, S. Mermania, G, Meton, A. Hergeth, L. Schröder, C. Prößer (v.l.n.r.)

In der Anfangszeit, als die taz noch beim Spandauer Volksblatt gedruckt wurde, habe ich die Filme zur Druckerei gefahren. Das war immer knapp, stets hatte man das Gefühl, zu spät zu kommen, weil die Texte nicht rechtzeitig fertig geworden waren. Schuld war immer die Berlin-Redaktion, aber die hatten auch am spätesten Redaktionsschluss. Einmal wurde ich geblitzt, mit 65 km/h. Die Buchhaltung der taz hat sich zuerst geweigert, die 30 Mark Bußgeld zu übernehmen.

Micha Weber, Empfang

Wir haben nicht nur Texte, sondern auch Anzeigen gesetzt. Auch Wahlwerbung für die SPD. Unter einer sollte „Ihr Regierender Bürgermeister“ stehen. Ich habe daraus „Ihr Regierender Bademeister“ gemacht. Die hat die SPD nicht bezahlt.

Doris Benjack, Säzzerin der ersten Stunde

In den 1980ern haben wir auf der Anzeigenseite auch Bekennerbriefe abgedruckt. Das waren bezahlte gestaltete Anzeigen, zum Teil richtig groß, mit einem Rahmen. Die Auftraggeber kamen aus der linksradikalen Szene. Das war die einzige Möglichkeit, Anschläge publik zu machen. Die Polizei hat sich für diese Kunden immer sehr interessiert. Aber ihre Daten waren nie in den Ordnern, in denen wir meinten sie abgelegt zu haben. Ein Stück Papier kann leicht verloren gehen. Und wenn es weg ist, ist es weg.

Anonym

Mai 1989 – erster Tag nach dem Umzug von der Watt- in die Kochstraße. Im Rechnerraum regnet es, der Wärmetauscher hat plötzlich Kondenswasser gebildet. Wir müssen die Server abschalten. Und nun? Die EDV ist dafür, eine handgeschriebene Notausgabe in die Druckereien zu faxen. Die Redaktion besteht darauf, dass die Notausgabe auf Schreibmaschine getippt wird. Wie eine Schülerzeitung sah die taz aus!

Ralf Klever, EDV

Mit einer Schreibmaschine im Gepäck bin ich 1990 nach Holland zur Tagung der Internationalen Walfangkommission gefahren. Erstmals durfte ich für die taz mal raus. In einem winzigen Zimmer in Nordwijk habe ich nachts in die Tasten gehauen, beschriebene Bögen mit der Schere bearbeitet, Passagen verworfen, neue anderswo angeklebt. Wie ein Flickenteppich sah der Text aus, der pünktlich (!) per Fax die Säzzer erreichte. „Gnadenfrist für Moby Dick“, titelte die Redaktion und räumte eine ganze Seite ein.

Plutonia Plarre, Berlin-Redaktion

Ende der 1990er Jahre wurde der Agenturticker abgeschaltet. Da war es vorbei mit dem Auseinanderreißen der Papierrollen, der Arbeit, der ich mich, zusammen mit anderen studentischen Kräften, in den ersten Jahren meines taz-Daseins widmete. Die Nachrichten musste man dann an die Ressorts verteilen, die daraus Material für ihre Texte gewinnen konnten. Einige Redaktionsmitglieder hatten indes keine Hemmungen, die von mir gesammelten Papierstöße vor meinen Augen umgehend in den Mülleimer zu werfen. Zum Glück bin ich kurz vor Schließung dieser Abteilung in eine andere gewandert.

Matthias Fink, Korrektur

Die gedruckten tazzen wurden nach Tagen und Jahrgängen sortiert aufbewahrt. Er sei noch nie im Archivkeller gewesen, sagte ein Kollege zu mir. Schließlich sei er Redakteur und keine Kellerassel.

Brigitte Marquardt, Archiv

Herbst 1998. Die taz wird das erste Mal in komplett in Farbe gedruckt. Wir stehen im Belichterraum und warten darauf, dass die für die Druckerei bestimmten Filmvorlagen aus dem Belichter kommen. Für den Farbdruck braucht es vier Filme pro Seite: Cyan, Magenta, Yellow, Black. „Die sind ja schwarz-weiß“, ruft der Chefredakteur enttäuscht. Er hatte gedacht, dass die Filme schon farbig aus dem Gerät kommen.

Jörg Kohn, Layout

Im Frühjahr 2001 war Klaus-Rüdiger Landowsky der personifizierte Filz der CDU. Der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus war angeschossen, weil er Parteispenden in bar angenommen hatte und als Chef der landeseigenen BerlinHyp den Spendern windige Kredite zukommen ließ. Tagelang hatte die taz Berlin groß berichtet. Unser CDU-Experte prognostizierte, dass „Lando“ spätestens beim Parteitag einen Monat später abtreten müsse. Auf der Konferenz dann die Idee, unseren Lieblingsfeind, wie die Bravo, mit einem Starschnitt zu ehren. Es blieben 31 Tage mit 21 Ausgaben, in denen wir täglich ein Stück Lando zum Ausschneiden druckten. Mal die Nase, mal der Kragen, mal die tickende Uhr. „In 31 Tagen ist er fertig“, stand über Teil eins. Lando trat zurück, genau an dem Tag, als der Starschnitt komplett war. Er war halt fertig.

Gereon Asmuth, taz-Regie

Ein Sommertag in der Rudi-Dutschke-Straße: Alarm aus der Kulturredaktion: Die halbe Etage ohne Strom, Rechner, Bildschirme, alles aus! In Arbeit befindliche Rezensionen, eloquent formulierte Abhandlungen über internationale Events, profunde Analysen der Offtheaterszene – für immer verloren! Die EDV steht vor einem Rätsel, denn die Schuldigen haben sich vom Tatort entfernt. Aber die Indizien sind unüberriechbar: Der Hund der Kulturredakteurin hat in die Steckdosenleiste gepinkelt und einen kulturellen Blackout verursacht. Gerd Ott, EDV

2014, bei meiner ersten Schicht als Chef vom Dienst in der Berlin-Redaktion, begrüßte mich der Layouter mit den Worten, er habe mehr als 50 Chefs vom Dienst kommen und gehen sehen. Die meisten machten das ein, zwei Jahre, dann seien sie ausgebrannt. Einige hätten Herzinfarkte gehabt, zwei seien sogar schon gestorben. Ich bin jetzt im 12. Jahr. Und der Layouter, von Anbeginn und zunächst als Säzzer bei der taz, ist mittlerweile 70. Nach der Seitenwende wechselt er in die Korrektur. Der kargen Rente wegen.

Andreas Hergeth, Berlin-Redaktion

Erster Tag Praktikum in der taz, 2023: Ratlos sitzt die Gen Z vor dem schwarzen Bildschirm und sucht vergeblich die Einschaltknöpfe am mittelalterlichen Desktop-PC. ChatGPT wird zur Hilfe gerufen, und siehe da: Das Gerät funktioniert tatsächlich noch. Bei der Konferenz blättern die Kol­le­g*in­nen in der gedruckten taz, nachmittags druckt der Kollege den Praktikantinnen-Text aus, um ihn handschriftlich zu redigieren. Hier wird aus Prinzip gedruckt: Anträge für Presseausweise, Interviewfragen, Klausurprotokolle. 2000 and late (Steinzeit), meinen die Prak­ti­kan­t*in­nen – gute alte Tradition, meinen taz-Gesteine.

Lilly Schröder, Berlin-Redaktion

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